Droht uns das „Zeitenende“?
Weirichs Klare Kante

Verkommt die, angesichts des vom Kreml entfesselten neuen Kalten Kriege,s angekündigte deutsche „Zeitenwende“, die uns mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro abwehrbereit machen soll, zu einer politischen Floskel? Wo gibt es den von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gewünschten Mentalitätswandel und eine Rückenstärkung für eine „kriegstüchtige Bundeswehr“?
Beide Fragen muss man sich nach der verstörend desinteressierten Reaktion der Öffentlichkeit auf die Absicht der USA stellen, ab sofort bis nach Russland reichende Marschflugkörper und Langstreckenwaffen auf deutschem Boden zu stationieren und den jüngsten Haushalts-Entscheidungen des Bundeskabinetts, die einer erhöhten Verteidigungsbereitschaft zuwiderlaufen. Der ohnehin nur schwach ausgeprägte Willen zur Selbstbehauptung in der deutschen Gesellschaft benötigte durch klare Führung für die eigenen Zielvorgaben dagegen einen ermutigenden Impuls.
Zur Stationierungs-Entscheidung meldeten sich zuallererst Putins dienstbare Geister von der AfD und Sarah Wagenknecht zu Wort. Sie sahen ein erhöhtes Risiko für Krieg und Frieden, eine Bedrohung für Deutschland. Dass die Raketen des russischen Kriegstreibers seit langem auf uns gerichtet sind, stört sie nicht. Obwohl der Diktator mit dem Ukraine-Krieg den Wunsch des Nachbarlandes nach Selbstbestimmung mit Zerstörung beantwortet, wird seine Friedensliebe gepriesen. Wie pervers!
Der jetzt vom Bundeskabinett verabschiedete Haushalt, der ein vorzeitiges Ende der Koalition eher unwahrscheinlich macht, widerläuft den Zusicherungen des Bundeskanzlers, die Zwei-Prozent-Beteiligung vom Bruttosozialprodukt als Leistung für die NATO zu erreichen. Im aktuellen Etat, der noch durch den Bundestag muss, wird der notwendige Aufschwung mit einer globalen Minderausgabe unterlegt, konkrete Pläne zur Mittelbeschaffung fehlen. Für 2028 sieht die Ampel eine Lücke von 28 Milliarden Euro, die sie einfach ihren potentiellen Nachfolgern zuschiebt.
Das alles sieht eher nach Zeitenende aus. Wer die Bevölkerung mitnehmen will, muss glaubwürdig für seine Ziele eintreten. „Wer Frieden will, der rede vom Krieg“ lautet ein Zitat des Philosophen Walter Benjamin, das am Eingang des Panzermuseums in Munster steht. Diese Weisheit kannten freilich schon die Römer vor 2 000 Jahren.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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