Hoffen auf „Trittbrett-Effekt“

Die Union, die am kommenden Montag die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes für die am 23.Februar stattfindende Abstimmung mit ihrem 37. Bundesparteitag in Berlin einläutet, hofft im Schlußspurt auf den in der politischen Psychologie für den vermeintlichen Sieger auftretenden „Bandwagon-Effekt“. Dabei geht es um die Mobilisierung von Mitläufern, die sich im „last minute-swing“ auf einen fahrenden Erfolgszug schwingen, die Hoffnung auf das Trittbrett.
Seit der erschreckenden Bluttat von Aschaffenburg ist die Migrationspolitik ins Zentrum des Wahlkampfes mit der Mobilisierung von Wählern gerückt. Oppositionsführer Friedrich Merz ist mit der Forderung nach dauerhaften Grenzkontrollen, der Zurückweisung von Personen ohne gültige Einreisedokumente, direkt an der Grenze, einem konsequenteren Vollzug der Ausreisepflicht und einer Verschärfung des Aufenthaltsrechtes in die Offensive gegangen. Er sieht unser Land in der Pflicht, nationales Recht anzuwenden und beruft sich dabei auf europäische Verträge für außergewöhnliche Notlagen.
Mit dieser harten Linie, die auch das Eingeständnis des Versagens unter Angela Merkel bedeutet, will Merz auch populistischen Parteien wie der AfD den Boden entziehen. Seine Strategie im Kampf gegen die AfD, die er einst halbieren wollte und die sich inzwischen verdoppelt hat, ist freilich gescheitert. Die von allen Parteien der Mitte betriebene Ausgrenzung und Dämonisierung hat für die in Teilen rechtsextremistische Partei eine Opferrolle geschaffen und ihr politischen Profit eingetragen.
Fernab allen Wahlkampfgetöses in der letzten Bundestagswoche, die mit einem gescheiterten Antrag zum Verbot der AfD endet, sollten alle Parteien, auch rot-grün, ihre Vorschläge nicht davon abhängig machen, ob die AfD ihnen zustimmt. Alles andere wäre eine Selbstentleibung der Demokratie.
Überzeugender wäre bei Betonung einer klaren roten Abgrenzungslinie eine entschlossenere Auseinandersetzung in der Sache, weshalb sich Merz jetzt auch einem TV-Duell mit Alice Weidel zu stellen bereit ist. Gleichzeitig muss sich der zu Recht keinen Koalitionswahlkampf führende CDU-Spitzenkandidat allerdings fragen lassen, wie er vor lauter Brandmauern und Unvereinbarkeitsbeschlüssen bündnisfähig wird.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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