Alternativlos und zauberfrei

Angela Merkels Politik der Alternativlosigkeit in der Großen Koalition droht nun auch ihren präsumtiven Nachfolger Friedrich Merz einzuholen. Dem schwarz-roten Koalitionsvertrag wohnt weder für die christdemokratische Basis noch für die Genossen der „Zauber des Anfangs“ inne, die Architekten des Kontrakts verweisen auf die fehlende Alternative. Scheitere der Pakt, komme es zu weiterer Instabilität, möglicherweise Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung.
In der nächsten Woche geht es in die entscheidende Runde zur Bildung dieser „Arbeitskoalition“. Die Zustimmung des „kleinen Parteitages“ der CDU am kommenden Montag gilt als sicher, der nach der Satzung vorgesehene Bundesausschuss besteht zumeist aus Berufspolitikern. Zwar hat die Junge Union Friedrich Merz zugerufen, die Zeiten des „Kanzlerwahlvereins“ seien vorbei, doch zum Ja des Nachwuchses gibt es auch keine Alternative.
Die SPD-Spitze hat auf mehreren Digitalkonferenzen für den Vertrag geworben. Eine zentrale Veranstaltung am Samstag im nordhessischen Baunatal soll für eine letzte Mobilisierung sorgen. Die Urabstimmung der Parteimitglieder endet am kommenden Dienstag mit einem voraussichtlich positiven Votum.
Vor allem die Union weiß um die Unzufriedenheit ihrer Parteigänger und bemüht sich um eine Verbesserung der Grundstimmung und mehr Vertrauen beim Bürger. Dass der ministrable Merz-Vertraute Carsten Linnemann Generalsekretär bleiben will, ist ein klarer Hinweis darauf, dass die CDU in Regierungszeiten Kampagnefähigkeit erhalten und Deutungskompetenz in schwierigem Umfeld erreichen will.
Beide Partner verweisen auf die Erfolge in dem oft schwammig formulierten Koalitionsvertrag, die Union vor allem auf die Entlastungen der Wirtschaft, auf Entbürokratisierung und Digitalisierung. Dabei sind Fortschritte nicht zu bestreiten, die großen strukturellen Reformen werden aber freilich nicht angepackt.
Skeptisch muss man den erneuten Versuch der Selbstheilung von der politischen Berufskrankheit „Kommissionitis“ sehen. Von der Rente über die Pflege bis zur Sozialstaatsreform, in insgesamt 15 Kommissionen ist die Zukunft ausgelagert.
Zur Fairness gehört aber auch, einer neuen Regierung erst einmal hundert Tage Zeit für eine erste kritische Zwischenbilanz zu geben.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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