Wackelkandidat FDP

Dieter Weirich

Die Freien Demokraten gehen mit vielen guten Vorsätzen, aber doch als Wackelkandidat der Berliner Ampel-Koalition ins neue Jahr. Das in der ersten Januar-Woche stattfindende Dreikönigstreffen, eine seit 1866 zelebrierte Traditions-Veranstaltung der schwäbischen Liberalen, sollte nach den schweren Landtagswahl-Schlappen im ersten Regierungsjahr der Ermutigung und dem Aufbruch dienen. Im Mittelpunkt steht der Ausblick von Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner, dem unzweifelhaft die Rettung der Liberalen nach dem Bundestags-Absturz 2013 zu verdanken ist.

Die unguten Erinnerungen an das Scheitern bei den vergangenen landespolitischen Entscheidungen prägen die innerparteilichen Stimmungen der Freidemokraten. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Rolle in der Ampel wächst. Blinkt diese in Zukunft nicht gelber, unken manche bereits vom Ausstieg und dem Exitus des fragilen Bündnisses. Noch immer gilt Lindners bei der Absage an eine Jamaika-Koalition gemachter schroffe Satz, es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.

Lindner, nach wie vor unbestrittener Alleinherrscher, kennt diese auch für ihn gefährlichen Stimmungen. Die Ampel hat für ihn im ersten Regierungsjahr an Legitimation verloren, die FDP müsse ihre „Positionslichter markanter setzen, ihre Stärken akzentuierter herausarbeiten“.

Klar ist, dass die Freidemokraten vor allem nach ihren Leistungen in der Regierung bewertet werden und ein Finanzminister, der in einem Jahr für 500 Milliarden Euro neue Schulden aufnimmt, vor allem von seiner mittelständischen Klientel kritisch beurteilt wird. Der neue Bundeshaushalt soll deswegen „woke“ gestaltet werden, also im Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts stehen, Gendergerechtigkeit stärken, der Gleichstellung der Geschlechter verpflichtet sein.

Der erste Härtetest steht bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin Anfang Februar an. Kühne Propheten glauben im neuen Jahr an einen Koalitionsbruch wie 1982 unter Hans-Dietrich Genscher. Andere Betrachter der politischen Landschaft denken, dass die Ampel trotz der Rückschläge bei landespolitischen Entscheidungen eine Legislaturperiode durchhält. Ertrinkende können sich bekanntlich lange über Wasser halten.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

 

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