Gelobtes Land überfordert

Dieter Weirich ©seppspiegl

Der Kontrollverlust von 2015 bei der Migration werde sich nicht wiederholen, versprach Angela Merkel. Man wird sie persönlich nicht mehr beim Wort nehmen können, hat sich die Kanzlerin doch aus der aktuellen Politik verabschiedet.

In der Realität droht eine Wiederholung. Als wäre mit Inflation, Energiekrise und Ukrainekrieg der Problemberg nicht groß genug, droht Deutschland jetzt die Überforderung durch eine neue Migrations- und Flüchtlingskrise.

Wir haben seit Putins brutalem Angriffskrieg mehr als eine Million Ukrainer in einem bewundernswerten Kraftakt aufgenommen, seit Beginn des Jahres werden wir mit einem Rekordandrang von Asylanten, vor allem aus Syrien, Afghanistan, Libyen, Tunesien und auch der Türkei und Indien konfrontiert. Bis Ende August wurden 115 000 Asyl-Erstanträge gestellt, 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten Begehren werden zwar abgelehnt, doch die Menschen wissen, dass sie in aller Regel nicht ausgewiesen werden.

Schon schlagen die Bundesländer Alarm, die meisten Landkreise haben keine Kapazität für die Unterbringung der Menschen mehr. Ein „Flüchtlings-Gipfel“ mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser brachte nur wenig, zu wirksamen, stationären Grenzkontrollen kann man sich noch immer nicht aufraffen.

Die Ampel-Koalition verdrängt, wie schon frühere Regierungen, das Problem. Ein neues Einwanderungsrecht soll abgelehnten „Wirtschaftsflüchtlingen“ der Vergangenheit, die man sich nicht abzuschieben getraut hat, jetzt die Integration erleichtern. Mit der Zuwanderungs-Offensive für qualifizierte Fachkräfte hat das freilich nichts zu tun.

Berlin sollte die jüngsten Wahlerfolge der Rechtspopulisten in Schweden und Italien genau studieren, haben diese doch viel mit Migration zu tun. Statt wohlfeiler Ermahnungen sollte Berlin selbst aktiv werden und mit den Schengen-Partnern den Schutz der EU-Außengrenzen stärken und vor allem illegale Schleusungen über die Balkan-Route verhindern.

In Europa verstehen immer weniger Partner die deutsche mehr als lockere Integrationspolitik. Während die Wirtschaft mit Bürokratie überlastet wird und für alles einen Antrag braucht, genügt das Zauberwort Asyl, um die Tore ins gelobte Land zu öffnen.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

 

 

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