Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Steffen Kopetzky: Propaganda

Foto: © Enno Kapitza-Rowohlt

Der Ich-Erzähler John Glück, Germanistikstudent mit deutschen Wurzeln, 1921 in New York geboren, springt in seiner Lebensbeschreibung zwischen 1944 und 1971 hin und her. Fiktive und reale Personen werden gemischt. Der Autor packt eine Überfülle recherchierten Materials zusammen u.a. zu allen möglichen emigrierten deutschen Schriftstellern, indem er eine Lanze für die Literatur bricht, Militärgeschichte, Statistik, Filmplots. Das ausufernde Gesellschaftsporträt in eloquentem Stil zum deutsch-amerikanischen Verhältnis bremst die eigentliche Handlung, die sich schleppend entwickelt, und mindert Spannungsaufbau.

Glück schließt sich der Propagandaabteilung der amerikanischen Armee an und soll für deren Zeitschrift den Kriegsreporter Hemingway interviewen, der aber mehr oder weniger betrunken ist, und nebenbei die Deutschen vom besseren Leben der Amerikaner überzeugen. Stattdessen scheint er vieles an der Wehrmacht zu bewundern. Er wird im Hürtgenwald, einer für die Amerikaner desaströsen Schlacht, in die Kampfhandlungen einbezogen, mal auf amerikanischer, mal auf der deutschen Seite der Front. Vor möglicher Kriegsgefangenschaft wird er bewahrt vom jungen deutschen Arzt Dr. Stüttgen, der tatsächlich eine Waffenruhe aushandelte, um die Verwundeten zu bergen. Darüber schreibt Glück, aber Heldengeschichten des Kriegsgegners sind unerwünscht.

Nach einem Autounfall und bewaffnetem Widerstand bei der Festnahme kommt Glück 1971 ins Gefängnis, geschädigt von den in Vietnam versprühten Entlaubungsmitteln. Radikale Ehrlichkeit habe ihn dahin gebracht haben, meint er, weil er die Lügen der Politiker und die Verbrechen der US-Army im Vietnamkrieg entlarvt hat. Am Ende erkennt der Ich-Erzähler, dass Propaganda von allen Seiten für alles benutzt wird und die ehemals von ihm vertretenen Werte inzwischen pervertiert sind. Dem Autor schwebte ein Aufruf zur Zivilcourage vor, wobei der Leser geteilter Meinung sein kann, ob man diese zwei Kriege miteinander vergleichen kann.

 

Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Monschau» (2021) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste, ebenso wie «Risiko» (2015, Longlist Deutscher Buchpreis). «Propaganda» (2019) war für den Bayerischen Buchpreis nominiert. Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.

 

  • Verlag: Rowohlt Taschenbuch
  • Erscheinungstermin: 23.03.2021
  • Lieferstatus: Verfügbar
  • 496 Seiten
  • ISBN: 978-3-499-27647-7
  • Autor: Steffen Kopetzky
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