Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

 Die in Umfragen dahinsiechenden Freien Demokraten suchen nach einem Rettungsring. Der aktuelle, 75. Bundesparteitag der Liberalen in Berlin könnte die unklare Überlebens-Strategie der Partei aufhellen. Die ständigen Angriffe von FDP-Chef Christian Lindner auf den rot-grünen Teil der Ampel-Koalition veranlassen manche Betrachter zu der Spekulation, der Bundesfinanzminister wolle – wie 1982 Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff – eine Brandfackel in das Regierungsbündnis werfen und es letztlich zum Einsturz bringen.

Die Absetzbewegungen der FDP – manifestiert durch ein Zwölf-Punkte-Memorandum der Führung, von manchen Medien als „Stinkbombe“ bezeichnet – erinnern an das damalige „Lambsdorff-Papier“ und seine Folgen. Bekanntlich besiegelte dieser von Bundeskanzler Helmut Schmidt als „Verrat“ bezeichnete Ausstieg das Ende des sozialliberalen Bündnisses. Lindner hat nämlich aktuell die gleichen Klagen wie einst Lambsdorff: Zu wenig Sparbereitschaft, zu hohe Sozialausgaben, fragwürdige Subventionen.

Freilich bietet sich für die FDP das damals bereitwillig von Helmut Kohl für eine Wende angebotene Auffangbecken nicht an. Eine bürgerliche Koalition mit der CDU hätte keine Mehrheit. Bei einer Neuwahl droht der FDP aber zum zweiten Male das Scheitern auf Bundesebene. Lindner würde als eine tragische Figur in die Geschichte der Liberalen eingehen, vom strahlenden Retter zum Zerstörer.

Dass ihm seine von der Dauernörgelei genervten Koalitionspartner den Stuhl vor die Tür setzen und er sich gar als Opfer der rot-grünen Mesalliance darstellen kann, davon kann er nicht ausgehen. Auch würde es nach einem Bruch der Ampel keine Regierung mit der Union geben, Oppositionsführer Merz will Neuwahlen und Kanzler werden.

Für Lindner öffnet sich also keine Tür zur Flucht. So versucht er seine frustrierte Parteibasis mit der Beschwörung der Eigenständigkeit zu beruhigen. Kontroverse Themen gibt es genug:  Die Zweifel am Bürgergeld, die nicht zu finanzierende Kindergrundsicherung und die Forderung nach einer Korrektur der Rentenbeschlüsse.

Ein Scheidungsgrund könnte zudem vor allem die Abkehr seiner Partner von der im Koalitionsvertrag festgelegten Schuldenbremse sein. Lindner könnte sich dann im Wahlkampf als eiserner Sparkommissar präsentieren.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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