Von Gisbert Kuhn

Gisbert Kuhn

Was ist das für ein Theater in Berlin? Verdient die rot-grün-gelbe Koalition überhaupt noch die Bezeichnung „Regierung“? Oder nähert sich das, was täglich einem immer fassungsloseren Publikum vorgeführt wird, nicht allmählich einem Stück aus dem Kasperle-Theater? Um das Geschehen richtig einzuordnen – hier geht es nicht um das Erproben irgendwelcher polit-philosophischer Ideologie-Theorien in ruhigen, wirtschaftlich-prosperierenden Zeiten, sondern um das Wohlergehen (bzw. das Gegenteil davon) einer Mittelmacht namens Deutschland mit rund 80 Millionen Einwohnern in Zentraleuropa. Und dies in einer Zeit, in der wieder Kriege vom Zaun gebrochen, internationale Verträge einfach vom Tisch gefegt werden, moralische und humanitäre Werte rapide an Wert verlieren, die massenweise Verbreitung von Hass und Gewalt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Solidarität gefährdet und bloße „richtige“ Überzeugungen immer häufiger selbst unumstößliche Fakten überlagern. Kurz: In einer Zeit, die aus den Angeln geraten zu sein scheint.

Ausgerechnet in dieser Zeit ziehen die durch einen Regierungsauftrag miteinander verketteten Parteien SPD, Grüne und FDP an der Spree ein Schauspiel ab, als drehe die ganze Welt sich ausschließlich um sie. Richtig ist gewiss, dass es sich nicht um eine Liebesheirat handelte als sich diese Parteien-Trikolore vor zwei Jahren zu einem Bündnis zusammenschloss. Richtig ist ferner, dass man von vornherein Reibungsverluste einkalkulieren musste, weil zahlreiche wichtige Positionen schwer bis gar nicht miteinander vereinbar erschienen. Und richtig (und auch wichtig) ist schließlich, dass so weltverändernde Ereignisse wie Putins ruchloser Überfall auf die Ukraine oder der durch den unvorstellbar brutalen Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelösten und seither mit brutaler Härte geführten Krieg in Nahost nun wirklich nicht dieser Bundesregierung angelastet werden können.

Aber diese Bundesregierung – vom Bundeskanzler bis zum letzten Minister oder zur letzten Ministerin – hat einen Amtseid abgelegt. Sie haben geschworen, alles zu tun, um Schaden vom deutschen Volk abzuwehren und seinen Nutzen zu mehren. Nun ist es gegenwärtig ohne Frage nicht einfach, dieser Pflicht in vollem Umfang nachzukommen. Zumal sich die bestimmenden Faktoren außen- wie innenpolitisch radikal verändert haben, seit Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner mit ihren jeweiligen Gefolgschaften das Gestaltungszepter in die Hand nahmen. Das ursprünglich als „Fortschrittskoalition“ gestartete Parteien-Trio musste binnen kurzem auf Krisenmodus umschalten. Und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass es vor allem dem Obergrünen Robert Habeck zu verdanken war, dass trotz der ausbleibenden Energieströme aus Russland niemand hierzulande frieren musste. Ein gesellschaftliches Dankeschön ist freilich bis heute ausgeblieben…

Ungeachtet dessen verschlägt es einem schon stets von Neuem den Atem, wenn man sieht, wie leichtfertig – ja, geradezu mutwillig – die Ampelträger mit dem Vertrauen der Bürger umgehen, es geradezu durch Nichtstun verspielen. Es drohen schließlich nicht nur Gefahren von außen – machtpolitisch begründete ebenso wie wirtschaftlich fundierte. Also von Kreml-Zar Putin genauso wie aus dem nach absoluter Weltgeltung strebenden China. Genau diese Herausforderungen haben hierzulande längst ihre Entsprechung gefunden in einem jahrzehntelang nicht mehr für möglich gehaltenen Radikalismus und Extremismus, der sich vor allem in der so genannten Alternative für Deutschland (AfD) bündelt. Mit übersteigertem Nationalismus und daraus erwachsender Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Mit Anti-Europa-Parolen, und damit gegen die größte Leistung, die dieser von sinnlosen Kriegen gebeutelte Kontinent je zustande gebracht hat. Mit Attacken auf die Demokratie und deren freiheitlich-liberalen Werte und damit Hinwendung zu Autokratien und Diktaturen.

Solchen Entwicklungen durch eigene, politisch überzeugende Maßnahmen zu begegnen und damit die AfD und ähnliche gesellschaftliche Irrlichter zu entzaubern – das wäre die verdammte Pflicht und Schuldigkeit von Scholz, Habeck, Lindner und Co. Der Schutz von gesellschaftlichen Minderheiten ist gewiss wichtig und aller Ehren wert. Aber dass die sexuelle Selbstbestimmung einiger weniger Individuen Vorrang haben soll vor der (endlich beginnenden) Neubesinnung der bürgerlichen Majorität auf die Notwendigkeit einer wehrhaften Außen- und Sicherheitspolitik – das erschließt sich einem Anhänger des politischen Realismus nur schwer. Ähnliches gilt für die partielle Freigabe des Anbaus von Cannabis im Vergleich mit der krisenhaften Entwicklungen im Gesundheitsbereich.

Ganz zu schweigen von einer dringend notwendigen (ja eigentlich längst überfälligen) Neuausrichtung der Einwanderungspolitik. Der Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck gehört ja eigentlich in Granit gemeißelt: „Unsere Herzen sind weit, aber unsere Möglichkeiten begrenzt“. Wer die Augen nicht mutwillig verschließt, erkennt doch an der Situation und mithin auch Stimmung in vielen Gemeinden, dass diese total überfordert sind. Die Kitas sind überfüllt, genau wie die Schulen. Es gibt nicht genügend Deutsch-Unterricht, der Leistungspegel in den Klassen fällt. Ganz zu schweigen von der zunehmenden Radikalisierung vor allem islamischer Schüler und Jugendlicher auch auf den Schulhöfen.  Gar keine Frage, die zunehmend überalternde deutsche Gesellschaft braucht auch in Zukunft Zuwanderung. Aber – diese Migration muss endlich gesteuert und darf nicht weiterhin durch hohe Sozialleistungen befeuert werden.

All dies endlich kraftvoll in Angriff zu nehmen, wäre wirklich des Schweißes der Edlen wert. Stattdessen ähnelt der Lärm aus den Berliner Koalitionszentralen eher dem Geschrei aus Kindergärten. Natürlich setzen politische Prozesse Diskurse und Dispute, auch Streit und mitunter Krach voraus. Aber diese öffentlich auszutragen, ist absurd. Es nützt niemandem – außer den Verfassungsfeinden. Was zum Beispiel hat wohl den FDP-Bundesgeschäftsführer Bijan Djir-Serai geritten, als er vor wenigen Tagen die CDU/CSU als den eigentlichen Verbündeten der Liberalen bezeichnete. Gewiss, es hatte 1983 schon einmal einen Schwenk der FDP von der SPD zur Union gegeben. Das war das Ende der mit den Namen Willy Brandt, Helmut Schmidt, Walter Scheel und Hans-Dietrich Gescher verbundenen sozialliberalen Koalition und der Beginn der 16 Jahre währenden Ära Kohl. Djir-Serai hat das nicht miterlebt. Sonst würde er vielleicht erkennen, dass die damalige Zeit mit der heutigen in keiner Weise vergleichbar ist. Seinerzeit, in einem Drei-Parteien-System, konnte die FDP noch als Königsmacher auftreten. Unter den zersplitternden Verhältnissen heutzutage (nicht zuletzt auch wegen des Zulaufs zu den Neo-Nazis) gilt das nicht mehr.

Es ist also ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, was die Liberalen in Moment spielen. Das, freilich, wäre wohl gar nicht möglich, wenn Olaf Scholz, der Mann an der Spitze, eine überzeugendere Rolle spielte. Nicht mit lautem Gepolter oder mit ständigem Auf-den-Tisch-Hauen. Erfolgreiche Koalition verliefen stets eher im Stillen, nicht selten besser bei einem Glas Wein als vor Kameras und Mikrofonen. Wer Führung wolle, werde Führung bekommen, hatte Scholz einst getönt. Auf die Einlösung des Versprechens wartet die Nation bis heute. Wenn das ein Spiel sein sollte, so zeichnet sich zumindest kein Gewinner ab. Nimmt man die jüngsten Zahlen der Allensbacher Meinungsforscher zur Hand, so würde (bundesweit) die Ampel keine Mehrheit bei anstehenden Bundestagswahlen bekommen. SPD 18 Prozent, Grüne 14 v. H., FDP 6 Prozent. Macht zusammen 38 Prozent, also weit weg von einer absoluten Mehrheit. CDU und CSU erreichen in der neuesten Wählergunst immerhin 32 Prozent; ohne Union geht demnach gar nichts. Vielmehr könnte sie im Bündnis mit den Sozialdemokraten oder selbst den Grünen die Rechtsaußen von der AfD (18 Prozent) in Schach halten.

Das, freilich, sind müßige Zahlenspielchen. Sie führen nicht an der Tatsache vorbei, dass die Ampel in der Pflicht ist, endlich tätig zu werden. Sollte sich allerdings nichts (fundamental) ändern und weiterhin das lautstarke Gegeneinander dem leiseren (aber vermutlich erfolgreicheren) Miteinander vorgezogen werden – dann allerdings sollte dem Spuk so schnell wie möglich ein Ende bereitet werden. Wie ein Konstruktives Misstrauensvotum funktioniert, ist ja wohl mittlerweile bekannt im Deutschen Bundestag. Denn: Ein Ende mit Schrecken ist allemal besser als ein Schrecken ohne Ende.

 

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.

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