Erfurt und Weimar – ein geschichtsträchtiges deutsches Städtepaar

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Im Jahre 1510 wurde das Collegium maius erbaut. Das spätgotische Portal ziert seit 1513 die Front des Gebäudes.

Fast genau in der Mitte Deutschlands liegt ein Städtepaar, das tief in der Geschichte nicht nur unseres Landes verwurzelt ist. In Erfurt und Weimar wandelt der Besucher auf Spuren, die das Christentum erdumspannend und das kulturelle Leben weit über die nationalen Grenzen hinaus erheblich verändert und geprägt haben.

„Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke“. Dieser Ausspruch Martin Luthers wird gerne zitiert. Denn damit reiht sich Thüringens Landeshauptstadt in die berühmten Orte des Reformators – wie Wittenberg, Eisenach oder Worms – ein. Luther lebte von 1501 bis 1512 in Erfurt, studierte an der dortigen Universität zunächst Jura und trat im Juli 1505 in das Kloster der Augustiner-Eremiten ein. Im April 1507 wurde er im Erfurter Dom zum Priester geweiht.

Erinnerung an Luther

Deshalb wird „Erfordia turrita“, das an Türmen reiche Erfurt, wie Luther die Stadt nannte, im  kommenden Jahr (also 2017) mit zahlreichen Projekten, Ausstellungen und Konzerten an „500 Jahre Reformation“ (Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche) erinnern. Allerdings gibt es dazu schon jetzt dazu im Augustinerkloster – einem eindrucksvollen Kulturdenkmal mittelalterlicher Baukunst – eine Dauerausstellung unter dem Titel „Bibel – Kloster – Luther“. Auf den Besucher wirkt die Stadt wie ein Bilderbuch der deutschen Geschichte. Das reicht von der Gründung einer der ersten Universitäten (1392) bis zum wegweisenden innerdeutschen Gipfeltreffen zwischen dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt und dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph im Jahr 1970.

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Krämerbrücke in Erfurt

Ein bekanntes Wahrzeichen der Stadt ist die Krämerbrücke. Ihr Name weist auf die einstmals blühende Handelsstadt auf der Straße zwischen den Messemetropolen Nürnberg, Köln, Frankfurt und Leipzig hin. Auf der durchgehend mit Häusern bebauten und bewohnten Brücke drängen sich Touristen in vielen kleinen Geschäften, Cafés und Galerien. Jedes Jahr im Juli sind vor allem die DomStufen-Festspiele ein Publikumsmagnet. Vor dem imposanten Kirchenensemble von Mariendom und St. Severi mit einer 70 Stufen hohen Freitreppe werden klassische Theaterstücke inszeniert. Mit Erfurts Geschichte untrennbar verbunden ist das jüdische Leben, dessen Zeugnisse bis ins frühe Mittelalter zurückreichen. Die aufwändig sanierte „Alte Synagoge“ beherbergt mit dem „Erfurter Schatz“ eine einzigartige kulturhistorische Kostbarkeit. Herzstück dieses 30 Kilogramm schweren Fundes aus Goldbroschen und Silbermünzen ist ein filigraner Hochzeitsring aus dem frühen 14. Jahrhundert.

Knotenpunkt für Handel

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Die moderne Messe Erfurt ©Messe_Erfurt_GmbH

Bei einem Spaziergang durch Erfurt spürt man, wie sich die Stadt dank ihrer zentralen Lage am Schnittpunkt zweier europäischer Handelswege – der Via Regia und der Nürnberger Geleitstrasse – zu einem wirtschaftlichen Drehkreuz entwickelt hat. Besonders nach der Wiedervereinigung wurde sie zu einem Anziehungspunkt für Verwaltung und Business, für Handel und Logistik und zu einem attraktiven Ort für Tagungen. „Europas größter Kleiderschrank“ nennen die Erfurter das 2013 fertiggestellte Zentrum des Textil- und Schuhversenders Zalando, ein hundert Millionen Investment, das Kunden in sieben europäischen Ländern beliefert. Noch spektakulärer ist der fast fertig gestellte Bau des Medienlogistikers KNV (Koch, Neff & Volkmar), der am Stadtrand auf einer Fläche von 44 Fußballfeldern Europas größtes Versandlager errichtet. Seit Erfurt vor 25 Jahren zur Landeshauptstadt auserkoren wurde, sind hier in Ministerien, Verwaltungen, bei mittelständischen Dienstleistern und im Medienbereich zahlreiche Arbeitsplätze entstanden. Großer Beliebtheit im deutschsprachigen Raum erfreuen sich die lustigen Gesellen des KiKA, des Fernseh-Kinderkanals von ARD und ZDF, der seit 2007 von hier sendet. Auch große TV-Shows gehen gerne nach Erfurt. Die Stadt verfügt über das zweitgrößte Messegelände in den neuen Bundesländern und wirbt mit dem Slogan „Messe im Grünen“. Belieferung mit hundert Prozent Ökostrom soll Veranstalter und Aussteller locken, die nachhaltiges Konferieren bevorzugen. Ausgesprochen innovativ wirkt die Idee von Messedirektor Wieland Kniffka, der auf den begrünten Dächern der Messehallen Bienenstöcke aufstellen ließ. Hier werden Jahr für Jahr ungefähr 280 Kilo Honig produziert, die die Messegesellschaft zu Werbezwecken an ihre Kunden verschenkt.

Nicht nur Goethe und Schiller

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Das Goethehaus und Goethe-Nationalmuseum am Frauenplan ©seppspiegl

Die Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation trieb nirgendwo  solche Blüten wie im Gebiet des heutigen Thüringen. Und das hat sich für heute durchaus positiv ausgewirkt. Dieser Flickenteppich kleiner Territorien stellte für die Herrscher eine Herausforderung dar. Sie mussten ihre Machtstellung bekunden, engagierten berühmte Architekten und Künstler, um sich gegenseitig im Bau prächtiger Schlösser und Gärten zu übertreffen. An den Höfen blühte das Geistesleben. Jede Residenz hatte ihre Bildungs- und Kultureinrichtungen – vom Theater bis zur Hofbibliothek. So war es auch kein Zufall, dass der Hesse Johann Wolfgang von Goethe und der Schwabe Friedrich Schiller im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zusammenfanden. Bedeutende Wissenschaftler und Schriftsteller lebten hier, weil sie das verhältnismäßig liberale politische Klima schätzten. Keine andere Region Deutschlands hat ein derartig vielseitiges kulturelles Vermächtnis hinterlassen. Davon profitiert das nur 20 km von Erfurt entfernte Weimar noch heute – oder, genauer gesagt, wieder. Besonders unter der Herzogin Anna Amalia entwickelte sich die kleine Residenzstadt an der Ilm zu einem kulturellen Zentrum. Daran erinnert vor allem die Herzogliche Bibliothek, die bereits um 1800 zu den bemerkenswertesten deutschen Büchersammlungen zählte. Nach der dramatischen Brandkatastrophe im September 2004 konnte drei Jahre später der kunstvoll gestaltete Rokokosaal wieder für Besucher frei gegeben werden. Die prachtvolle Anna-Amalia-Bibliothek im Herzen der Stadt darf jeden Tag (außer montags) von maximal 290 Personen besucht werden. Voranmeldungen sind daher angeraten.

Unvergleichlich ist die Zahl berühmter Philosophen, Musiker, Maler und Architekten, die in Weimar ihre Spuren hinterlassen haben. Dazu zählen Johann Gottfried Herder und Friedrich Nitzsche, Johann Sebastian Bach und Franz Liszt,  Lucas Cranach und Max Liebermann, Walter Gropius und Henry van de Velde. Und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann verewigte in seinem Roman „Lotte in Weimar“ das ehrwürdige Traditionshotel „Elephant“, in dem er 1955 selbst als Gast logierte.

Kultur auf Schritt und Tritt

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Schloss Belvedere

Für Weimar sollten sich Besucher auf jeden Fall ein paar Tage Zeit nehmen, so zahlreich sind hier die kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten. Neben Residenzen und Kirchen stehen vor allem die Wohnhäuser Goethes und Schillers im Mittelpunkt  touristischen Interesses. In ausgedehnten Parks in und um Weimar entdeckt man so manche künstlerische Überraschung. Auf einer Anhöhe im Süden der Stadt erhebt sich Schloss Belvedere, umgeben von einer 43 Hektar großen Parkanlage, der barocken Sommerresidenz von Herzog Ernst August. Kunst und Kultur erfahren in Weimar auch heute spezielle Förderung. Neben dem Rokoko-Schloss entstand ein moderner Schul- und Internatskomplex, das Musikgymnasium „Schloss Belvedere Weimar“. Hier erhalten ca. 120 musikalisch begabte Schülerinnen und Schüler eine umfassende  Ausbildung.

Schloss Ettersburg ist mit seiner Kapelle auch so ein Gesamtkunstwerk, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Hier traf sich um 1780 ein literarisch-musischer Kreis, dem Goethe, Wieland und Herder angehörten. Heute ist es bevorzugte Adresse für medizinische und andere wissenschaftliche Konferenzen. Die zum Tagungshotel umgebaute Anlage hat sich mit hauseigener Sterne-Gastronomie einen Namen gemacht.

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Das ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar ©seppspiegl

Auch die jüngere Geschichte erlebt man in der Stadt an der Ilm auf Schritt und Tritt. Im Nationaltheater beschloss 1919 das erste demokratisch gewählte deutsche Parlament die „Weimarer Verfassung“. Sie war Grundlage für die fragile Berliner Republik bis 1933. Keine fünf Jahre später bauten die Nationalsozialisten vor den Toren Weimars das Konzentrationslager Buchenwald und hinterließen ihre mörderische Spur. Die Buslinie 6 fährt direkt vom Goetheplatz hinauf zur KZ-Gedenkstätte auf dem Ettersberg. Nicht nur für die Fahrgäste prallen hier das hellste und das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte brutal aufeinander. Weimar lebt in diesem Spannungsfeld und ist gerade deswegen ein Freilichtmuseum der deutschen Klassik und der deutschen Geschichte, das immer eine herausragende Rolle spielen wird.

Rotger H. Kindermann

 

 

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