“Wir haben ganz schön was erlebt…”
Friedrich Nowottny wird 95 Jahre / Vom Stadionsprecher zum WDR-Intendanten
Man könnte sicher ohne Risiko eine Wette eingehen, dass am Ende jedes Gesprächs mit ihm der Satz stehen wird: „Sei ehrlich – wir haben in unserer Zeit ganz schön was erlebt…“ Friedrich Nowottny ist nicht erst jetzt zu dieser bedeutungsschweren Erkenntnis gekommen, denn die Jahrzehnte seines Lebens waren schließlich nicht bloß erfüllt von historischen Begebenheiten – sie waren nicht selten geradezu erschüttert davon. Am 16. Mai ist „Fritze“ (wie ihn seine Freunde nennen) nun 95 Jahre alt geworden.
Wenn Nowottny bei schönem Wetter am Poppelsdorfer Schlossweiher in Bonn entlang spaziert, dann bleiben immer wieder Passanten stehen und grüßen – nicht selten in fast ehrfürchtigem Ton – „Guten Tag, Herr Nowottny“. Das ist an sich nicht überraschend, denn dieser Mann war, ohne Frage, einst einer der bekanntesten politischen Journalisten in der alten Bundeshauptstadt. Und, erneut ohne Einschränkung. auch einer der beliebtesten. Unter seiner Moderation gehörte der „Bericht aus Bonn“ am Freitagabend praktisch zum Pflichtprogramm des deutschen Fernsehpublikums. Und nicht selten begegnete man sich am Abend auf der Straße mit dem fast zum Kult gewordenen Nowottny-Satz am Ende jeder Sendung: „Guten Abend das Wetter“. Und zwar ohne jeden Stopp zwischen „Abend“ und „das“. Es war einfach ein Markenzeichen.
Aber mit dieser Moderation war 1985 Schluss. Aus dem Leiter des „Bonner WDR-Studios“ (Nowottny: „Heute in Berlin muss es ja natürlich heißen ´Hauptstadtstudio´, und ich nehme an, wenn die dort mal zur Toilette gehen müssen, dann gehen sie auf die ´Hauptstadttoilette´“.) wurde der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, mithin Chef der größten ARD-Sendeanstalt. Und das bis 1995. Der charakteristische runde Kopf mit dem spitzbübischen Mündchen und vor allem verschmitzt-schlagfertigen Dialogpartien mit den seinerzeit Mächtigen auf der nationalen politischen Ebene war 10 Jahre lang von den Bildschirmen verschwunden.
Das ist nun auch schon beinahe 30 Jahre her. Und trotzdem noch immer das Wiedererkennen. Natürlich – damals gab es bei weitem noch keine solche Sendervielfalt wie heute. Geschweige denn Plattformen wie Youtube, Tiktok oder das Streaming-Angebot. Gedruckte, mehr noch Sendemedien, hatten bedeutend größeren Einfluss auf Informations-Vermittlung und politisches Wissen. Aber der Eindruck, den bestimmte Persönlichkeiten (Politiker, Journalisten, Wirtschafter, Wissenschaftler) seinerzeit bei den „Menschen draußen im Land“ hinterließen, lässt sich kaum allein damit erklären. Eher damit, dass sie mit ihren Lebenswegen und -leistungen etwas Außergewöhnliches verkörperten.
Wer heute im Journalismus Fuß fassen möchte, braucht sich ohne abgeschlossenes Hochschulstudium überhaupt nicht erst an eine Bewerbung zu setzen. Obwohl der Uni-Besuch natürlich überhaupt noch nichts darüber aussagt, ob er (bzw. sie) gut zu beobachten und das Beobachtete auch korrekt wiederzugeben oder einzuordnen weiß. In den 50-er und 60-er, ja sogar noch in den 70-er und 80-er Jahren gab es dagegen viele, auch weithin bekannte Berichterstatter und Kommentatoren, die nicht einmal Abitur besaßen. „Fritze“ Nowottny war ein solcher. Wie hätte er denn auch eine Hochschulbildung erlangt haben sollen. Geboren 1929, also während der Wirtschaftskrise, als Handwerkersohn im damaligen oberschlesischen Hindenburg (heute Zabrze). Übliche HJ-Karriere, Kriegsbeginn, blutjunger Offiziersanwärter, den es am Ende des Völkergemetzels nach Braunau am Inn verschlug. Ausgerechnet an Hitlers Geburtsort. Solches Überlebensglück hatte sein Vater nicht; der fiel noch in den letzten Kriegstagen.
Aber der junge Friedrich fand dafür den Rest der Familie wieder – Mutter und Schwester in Ostwestfalen. Das folgende Leben war typisch für jene Nachkriegszeit, und ist für die jetzigen Generationen nur noch ganz schwer vorstellbar. Wohnen auf engstem Raum. Dolmetscher und „Mädchen für Alles“ bei den britischen Besatzungstruppen. Radrennreporter in Bielefeld und später sogar Kommentator in der Dortmunder Westfalenhalle. Alles, was halt Spaß machte und zudem auch noch etwas einbrachte. So wie zum Beispiel als „freier“ Lokal-Berichterstatter, was später zu einem Volontariat mit anschließender Festanstellung bei der „Bielefelder Freien Presse“ führte. Mit zwischenzeitlicher Beschäftigung bei der Hauptverwaltung der Deutschen Eisenbahnversicherungs-Gesellschaft. Ein Berufsleben wie Kraut und Rüben? Nein, die Zeiten waren eben ganz einfach so.
Damals hatte der junge Fritz wohl im Leben nicht daran gedacht, dass der in der ersten Großen Koalition (1966 – 1969) legendäre Wirtschaftsminister Prof. Karl Schiller später so ziemlich jedes Interview mit ihm mit den Worten beginnen würde: „Wissen Sie, Herr Nowottny…“ Und auch nicht, dass ein Gespräch mit Willy Brandt wegen der einsilbigen Kürze der Kanzler-Antworten einmal einen Kult-Status bei Youtube bekäme. „Long, long ago“, sagt Friedrich Nowottny jetzt meistens, wenn der gelegentliche Disput über den Zustand der Welt und die Notwendigkeit zu deren Ordnung die Erinnerung an die „alten Zeiten“ streift. Sicher, das ist wahr. Aber es ist und bleibt halt auch wahr, „dass wir ganz schön viel erlebt haben zu unserer Zeit. Sei ehrlich“.
Das stimmt, Fritz. Darum einen ganz herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Mit den allerbesten Wünschen für hoffentlich noch recht viele Jahre. Und vor allen: Halt die Ohren steif!
Ku.
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