Von Günter Müchler

Günter Müchler

Viel Staat war mit dem „Aufstand für den Frieden“ nicht zu machen. Das Wetter war schön, der Medienrummel gewaltig. Trotzdem versammelten sich am 25. Februar, ein Jahr und einen Tag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, laut Polizei ganze 17 000 Menschen vor dem Brandenburger Tor. Was Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, die Hauptmatadorinnen des Events, nicht daran hinderte, von der Geburt einer neuen Bürgerbewegung zu schwärmen. Hat in Berlin eine neue politische Partei, ganz links und ganz rechts vereinend, ihre Credentials abgeliefert? Das wird wohl Wunschdenken bleiben.

Bei genauem Hinsehen entpuppte sich der „Aufstand für den Frieden“ nämlich als Ausflug des politischen Altenheims. Grau gewordene Friedenskämpfer, wohin man blickte. Weshalb entdeckte man junge Leute vor dem Brandenburg er Tor so gut wie gar nicht? Die Antwort lautet: Weil die Grünen nicht wackeln. Solange die Spitzen der Öko-Partei im russisch-ukrainischen Konflikt auf Habeck-Baerbock-Kurs bleiben, werden linke und rechte Putin-Versteher ein Stützstrumpfgeschwader bleiben.

Dass Sahra Wagenknecht, Ehefrau des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, sich mit dem Gedanken an eine Parteigründung trägt, ist kein Geheimnis. Die kühl-intellektuelle Flügelfrau der Linken verfügt in ihrer angestammten Partei über einen beträchtlichen Anhang, nimmt in der Bundestagsfraktion der Linken aber eine Minderheiten-Position ein. Nicht bloß in der Ukraine-Frage: Wiederholt hat Wagenknecht beim Thema Migration Auffassungen vertreten, die bei der AfD Beifall fanden. Ihr dezidierter Antiamerikanismus korrespondiert mit entsprechenden Einstellungen auf Seiten der extremen Rechten. Kein Wunder, dass der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla seine Unterschrift unter Wagenknechts und Schwarzers „Friedensappell“ gesetzt hat.

„Les extrèmes so touchent“, die Gegensätze berühren einander. Wagenknecht nutzt  öffentlichkeitswirksame Aktionen wie den „Aufstand für den Frieden“ als Möglichkeit, die Tragfähigkeit eines ideologischen Über-Kreuz-Verbundes zu testen. Ganz aussichtslos ist das Unterfangen nicht. Ende vergangenen Jahres lotete das Umfrageinstitut Forsa die Spannweite einer Wagenknecht-Partei aus. 19 Prozent der Befragten konnten sich vorstellen, einer sozial-nationalistisch gestrickten Partei ihre Stimme zu geben. Besonders bemerkenswert war, dass bei der Umfrage 74 Prozent der AfD-Anhänger Sympathien für Wagenknecht bezeugten, mehr als in der Gefolgschaft der Linken (55 Prozent). Sollte Wagenknecht Ernst machen, schlussfolgerte Forsa-Chef Manfred Güllner, dürfte das nicht nur das Ende der ohnehin dahinsiechen Linken bedeuten, sondern auch der AfD in erheblichem Maße schaden.

Ob die Friedensschalmeien des 25. Februar eine neue Massenbewegung aus dem Schlaf küssen können, ist zu bezweifeln. Zwar verzeichnet der Aufruf der Damen Schwarzer und Wagenknecht angeblich 700 000 Unterschriften. Aber die Liste der Erstunterzeichner lässt nicht an eine im Saft stehende Gegenelite denken. Namen wie die von Katarina Thalbach (69 Jahre), Peter Gauweiler (73), Reinhard Mey (80) oder Franz Alt (84), beeindrucken höchstens Gerontologen. Mit 66 Jahren ist der Brigadegeneral a.D. Erich Vad noch einer der jüngsten unter den Alten, freilich auch einer der interessantesten Mitmacher: Irgendwann wird man die Frage stellen müssen, wieso ausgerechnet Vad, der bei jeder Talkshow als Putin-Versteher auftritt, die Bundeskanzlerin Angela Merkel jahrelang in militärischen Belangen beraten durfte.

Im Vergleich mit den großen Protestdemonstrationen, die in den achtziger Jahren Hunderttausende mobilisierten (200 000 auf den Wiesen des Bonner Hofgartens am 22. Oktober 1983), war der „Aufstand für den Frieden“ ein Kammerkonzert. Immerhin gibt es Gemeinsamkeiten: Auch damals war der Antiamerikanismus ein wichtiges Amalgam. Kein Widerstand hatte sich geregt, als die Sowjetunion Mitte der siebziger Jahre ihre SS-20-Mittelstreckenraketen zu stationieren begannen. Erst als die NATO mit dem Aufbau eigener atomarer Systeme drohte, brandete Empörung auf.

Man wollte „lieber rot als tot“ sein, trieb Helmut Schmidt aus dem Kanzleramt und versprach eine bessere Welt, die sich ganz von selbst durch weniger Waffen einstellen werde. Dieselbe Asymmetrie heute: Wie man damals die amerikanischen Pershings für gefährlicher als die sowjetischen SS-20 hielt, ist nach Wagenknechts Logik der Widerstand der überfallenen Ukrainer gefährlicher als der russische Neoimperialismus.

Damit endet die Vergleichbarkeit. Die Kluft wird erkennbar in den grauen Haaren und den faltigen Gesichtern, die den „Aufstand für den Frieden“ charakterisierten. Eine Müdigkeit, die im Starrsinn ihren Halt findet und im Zynismus ihre Genügsamkeit, kontrastiert aufs schärfste mit dem irregeleiteten, doch gleichwohl ehrlichen jugendlichen Elan, der die damaligen Protestaktionen prägte. Im Bonner Hofgarten predigte 1983 Petra Kelly, Ikone der gerade ins Rampenlicht tretenden Öko-Partei, und riss große Teile ihrer Generation mit. Realpolitik? Kelly und ihr Anhang hätten über das Wort gelacht, so sehr waren sie davon überzeugt, dass der Glaube reiche, um Berge zu versetzen.

Die Grünen von heute haben verinnerlicht, was über Jahre schief gelaufen ist in der Bundesrepublik. Selbstentwaffnung bringt den Frieden nicht näher, sie zerstört ihn, indem sie den Mutwillen des Aggressors nährt, den Versuch zu wagen. Si vis pacem, para bellum. Wenn Du den Frieden willst, bereite Dich auf den Krieg vor, wussten schon die Römer. Wenn man sich in Berlin und in den anderen westlichen Hauptstädten an diese Regel gehalten hätte, wäre Putin gar nicht über die Ukraine hergefallen.

Die Führungsriege der Grünen hat die Lektion gelernt. Niemand aus dem Regierungslager trat den Initiatoren des „Aufstands für den Frieden“ so entschieden entgegen wie Wirtschaftsminister Robert Habeck. Konsequent nannte Sahra Wagenknecht die Grünen die „gefährlichste Partei“ im Bundestag. Ihr ist klar, was die Haltung der Grünen bedeutet. Die Grünen sind einflussreiche Influencer. Sie sind nach wie vor die Partei der Jugend. Bei der jüngsten Bundestagswahl holten sie unter den 18- bis 34-Jährigen mit großem Vorsprung die meisten Stimmen. Halten sie im Ukraine-Konflikt Kurs, werden die Alten auch bei den nächsten Protestaktionen unter sich bleiben.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

 

 

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