Dieter Weirich

Weil die FDP als dritte Kraft über mehrere Dekaden der Nachkriegszeit zum dauernden Königsmacher wurde, belegten sie politische Spötter damals mit dem Etikett der „4711-Partei“. „Immer dabei“ war nämlich der Werbespruch eines Kölner Unternehmens für Körperpflegeprodukte, das seine Dürfte nach der Domstadt benannte.

Diese komfortable Rolle haben die Liberalen längst an die Grünen abgegeben, die nicht nur auf Bundesebene in der Ampel mitregieren, sondern auch in neun Bundesländern Mitverantwortung tragen und über den Bundesrat Einfluss ausüben. So ist die einst aus dem Protestmilieu gekommene Ökopartei inzwischen zur „Staatspartei“ avanciert. Da die AfD als nicht koalitionsfähig angesehen wird, ist es nahezu unmöglich, an der Grünen vorbeizukommen.

Die Entscheidung der hessischen Christdemokraten und ihres neuen Hoffnungsträgers, des Ministerpräsidenten Boris Rhein, den Grünen nach zehnjähriger Zusammenarbeit den Laufpass zu geben und ein Bündnis mit den bei der Wahl schwer geschlagenen Sozialdemokraten einzugehen, kommt deshalb nicht nur überraschend, sondern einer Zeitenwende gleich.

Die Union hat erkannt, dass der Kampf gegen die irreguläre Migration das zentrale Thema der Zukunft sein wird und ein „starker Staat“ eher mit den Genossen als mit den Grünen demonstriert werden kann. Wenn Rhein zur Begründung dieser „christlich sozialen Koalition“ (der der ersten seit sieben Jahrzehnten) davon spricht, dass für die inhaltlich größeren Schnittmengen auch die gemeinschaftliche „starke kommunale Basis“ steht,  dann denkt er dabei an die nach wie vor, bestehende machtpolitische Stellung der SPD in den Kommunen und deren Ruf nach einer entschlosseneren Migrationspolitik.

So hat sich Hessen als Schöpferin des ersten schwarz-grünen Pakts zum Vorreiter eines von der Berliner CDU-Bundestagsopposition nicht ungern gesehenen Richtungswechsels gemacht. Boris Rhein hebt sich damit von seinem Vorgänger Volker Bouffier ab,  der als treuer Vasall von Angela Merkel vor fünf Jahren ein desaströses Landtagswahlergebnis einfuhr. Die beiden Spitzenpolitiker waren sich ohnehin nicht grün, Bouffier hatte lange versucht, Rhein die Staatskanzlei zu verwehren. Die schwarz-rote Operation wird trotzdem nicht leicht. Vor allem muss sich die am Boden liegende SPD erst neu finden, ihr Führungspersonal ordnen und das Regieren wieder lernen.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

- ANZEIGE -