von Dieter Weirich

Dieter Weirich ©seppspiegl

Der 8.Mai, an dem Deutschland 1945 durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Diktatur befreit wurde, sollte zum bundesweiten gesetzlichen Feiertag gemacht werden. Mit dieser bei der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages erhobenen Forderung findet der dienstälteste Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Georg Gysi, nur in der Hauptstadt Widerhall. Hier gibt es durch ein vom Senat eingebrachtes Gesetz einmalig arbeitsfrei.

Als „Tag der Befreiung“ würdigte der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Kapitulation der deutschen Wehrmacht und setzte dabei einen weltweit beachteten Akzent in der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Nicht allen Landsleuten hatte diese Diktion gefallen, betrachteten sie dieses Datum doch als einen mit Vertreibung und neuer totalitärer Machtausübung verbundenen Tag der Niederlage.

In Russland wird der Sieg über den Faschismus erst am 9.Mai gefeiert, erfolgte die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde doch erst am späten Abend, in Moskau hatte man da schon den neuen Tag begrüßt. Die im Zweiten Weltkrieg besonders stark heimgesuchte Ukraine löst sich auch in der Erinnerungskultur vom Kreml und begeht den 8.Mai auch heute als Tag des Gedenkens und der Versöhnung.

Mit dem morgigen 9.Mai, dem „Europatag für Frieden und Freiheit“ verbindet sich ein zukunftsträchtiges Datum, das so etwas wie den Geburtstag der Europäischen Union im Jahre 1950 markiert. Damals hatte der französische Außenminister Robert Schumann in einer historischen Erklärung seine Ideen für eine neue Form der politischen Zusammenarbeit vorgestellt. Kriege zwischen den Nationen sollten künftig unvorstellbar werden. Mit Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer gehört Schumann zu den Baumeistern Europas.

Der Blick zurück in der Geschichte von Befreiung und Neuanfang sollte die Partner der künftigen Koalition ermutigen, in der von Krisen geplagten EU einen neuen Anlauf auf eine Stärkung Europas zu machen. Dazu gehören vor allem eine Neubelebung des stotternden deutsch-französischen Motors, eine Wiederbelebung des „Weimarer Dreiecks“, flexible Koalitionen williger Mitgliedstaaten, eine Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und der militärischen Sicherheit durch eine gemeinsame Ukraine-Politik.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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