Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Matthias Politycki: Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes

Matthias Politycki – © Mathias Bothor / photoselection

Matthias Politycki hat einen beeindruckenden Roman vorgelegt. Es ist ein Liebesroman, verpackt in eine Reisebeschreibung. Der Autor ist selbst nicht in Äthiopien gewesen, sondern schöpft seine Geschichte aus dem hinterlassenen Tagebuch seines Protagonisten. Wieviel dessen Schreibstil geschuldet ist, wird zwar nicht deutlich, aber das Material ist auf jeden Fall meisterhaft verwertet.

Die Hauptperson ist Josef Trattner, ein Schlawiner, der es mit dubiosen Tricks, Protektion und Klüngelwirtschaft bis zum archäologischen Leiter einer Ausgrabung in Äthiopien gebracht hat. Als solcher hintergeht er seine deutsch/österreichischen Auftraggeber, unterschlägt Funde, fälscht Grabungsprotokolle, saugt sich die Dokumentation aus den Fingern. Das ist gerade aufgeflogen, weil sich doch mal jemand persönlich vom Gang der Arbeiten überzeugen wollte. Trattner ist gefeuert und wird das Land in Kürze verlassen. In depressiver Stimmung macht er mit Hilfe zweier ehemaliger Arbeiter, Mulugeta und Weraxa, eine Rundreise per Geländewagen durch den Süden des Landes.

Die Story spielt kurz vor Beginn des äthiopischen Bürgerkriegs 2020. Noch teilnahmslos beobachtet Trattner sezierend Sitten, Glauben und Riten der zahllosen Völkerschaften, die ihre Fehden und Vorurteile pflegen und den bevorstehenden Krieg für ihre kleinräumigen Ziele nutzen wollen. Da wird nichts beschönigt, aber wenig bewertet. In einem der Dörfer trifft Trattner auf Natu, eine junge stolze Frau mit grausamer Vorgeschichte. Mit ihr kommuniziert er fast nur über Tierlaute. Dennoch holt sie ihn aus seiner Lethargie. Es beginnt eine zarte Liebesgeschichte zwischen den beiden. Trattner sieht voraus, dass schon jenseits der Dorfgrenze ein Zusammenleben schwierig würde.

Kritik am Konzept der sogenannten Entwicklungshilfe, die unangemessene Wünsche und daraus resultierend Unzufriedenheit kreiert, Übervölkerung bewirkt, wo vorher die Kindersterblichkeit ein angemessenes Gleichgewicht schuf, legt der Autor einem einheimischen Ortsvorsteher in den Mund. Dieser fragt: „Ist es Fortschritt, die Holzstöcke, die man früher bei Streitigkeiten Mann gegen Mann benutzte, durch Kalaschnikows zu ersetzen?… Ihr lasst Gott klein sein, damit Ihr groß seid. Ihr fühlt Euch immer im Recht, wenn Ihr uns die alten Bräuche wegnehmt und alles aus dem Gleichgewicht bringt. Bis Ihr vor dreißig oder vierzig Jahren gekommen seid, waren wir das Zentrum der Welt. Dann haben wir begreifen müssen, dass Ihr das Zentrum seid und wir am äußersten Rand.“

Die Naturbeschreibungen sind einprägsam und niemals eintönig, die teils gefährlichen Begebenheiten, die Darstellung der Fremdheitsgefühle, das allmähliche Hineinsteigern in eine fiktive Zukunft mit der unangepassten Frau, die selbst zwischen allen Stühlen zu sitzen scheint, das geht unter die Haut.

 

Matthias Politycki gilt als großer Stilist und ist einer der vielseitigsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Sein Werk besteht aus über dreißig Büchern, darunter Romane, Erzähl- und Gedichtbände, sowie Sachbücher und Reisereportagen.

 

Hoffmann & Campe Verlag GmbH

Sprache:Deutsch
Erscheinungsdatum:03.04.2023
ISBN: 978-3-455-01584-3

 

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