Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Natalie Livingstone: Die Frauen der Rothschilds

Die Historikerin und Feuilletonistin Livingstone legt hier ein sehr ausführlich recherchiertes Buch über mehrere Generationen Frauen vor – mit Schwerpunkt auf dem englischen Zweig der Familie.

© © Mary McCartney

Vergleichbar einer Dynastie galten persönliche Gefühle wenig, Machtstrukturen und Einflussbereiche sehr viel. Testamentarisch waren Frauen vom Erbe der Firma ausgeschlossen. Neben der Berufswahl unterlag auch die Heirat familiärer Steuerung. Entsprechend häufig kam es vor, dass der Partner aus der Sippe gewählt wurde. Nur deshalb hielt man das Vermögen zusammen oder vergrößerte es noch. Ihre Finanzdienstleistungen waren zwar willkommen, aber die Abhängigkeit konnte sich im Krisenfalle schnell gegen die „Ausländer, Neureichen, Geldsäcke“ kehren. In England wurden Schlösser gebaut und eingerichtet, aber selbst in den höheren Kreisen wurden ihnen Anerkennung und gleiche Bürgerrechte vorenthalten. Parallel zur Anpassung an nichtjüdische Vorlieben und Ablegen religiöser Restriktionen änderte sich die Einstellung allgemein. Wurde die erste Tochter, die durch Heirat eines Christen die Sippenregeln unterwanderte, noch verstoßen, so nahm es die Familie eine Generation später zähneknirschend hin und noch später akzeptierte sie es und andere Werte wurden allmählich wichtiger.

Lange blieb das Frankfurter Ghetto auch für die in unvorstellbaren Wohlstand Geborenen das Zentrum, an dem sich die über die Hauptstädte Europas verstreute Verwandtschaft zu Hochzeiten oder Eheanbahnung traf. Jede der Frauen, die die Autorin aus acht Generationen herausgepickt hat, hinterließ eine Fülle an Briefen und Tagebüchern, die verdeutlichen, wie die Rothschildfauen z.B. ihre Finger bei der Gründung des Staates Israel im Spiel hatten. Die Frauen fanden durch ihre Förderung von Kunst und Kultur in der Presse Anerkennung, sie stellten während des Krieges ihre pompösen Immobilien als Lazarette zur Verfügung, eine wurde autodidaktische Zoologin, anerkannte Universalgelehrte und Pionierin der Umweltbewegung. Obwohl sie über so gut wie kein eigenes Einkommen verfügten, zogen manche Frauen geschickt alle gesellschaftlichen Fäden, um ihre Männer in politische Positionen zu hieven oder die gewünschte politische Konstellation zu unterstützen. Sie bewegten sich zwischen Trotz und Kompromiss, aber offener Konflikt wurde umgangen. Im viktorianischen London waren ihre Einladungen begehrter als die der Königin.

Der Autorin gelingt ein eindrucksvoller Blick auf diejenigen, die ihren Männern entweder den Rücken freihielten, als Matriarchin die Fäden der Heiratspolitik zogen, und das Beste aus ihrem in der Geschichte weitgehend unsichtbaren Leben machten.

 

Natalie Livingstone ist in London geboren und aufgewachsen. Sie schloss 1998 mit einem erstklassigen Abschluss in Geschichte am Christ’s College in Cambridge ab. Ihre Karriere als Feuilletonistin begann sie beim Daily Express. Heute schreibt sie für verschiedene Magazine, u. a. für US Vogue, Elle und The Times. Als Romanautorin hat sie sich in England bereits einen Namen gemacht. Natalie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in London.

 

Quadriga Verlag

Hardcover
Sachbücher
560 Seiten
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
ISBN: 978-3-86995-118-8
Ersterscheinung: 29.04.2022
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