Dieter Weirich

Nach der dem Kanzler vom Bundesverfassungsgericht verabreichten Ohrfeige wegen der verfassungswidrigen Haushaltspolitik der Berliner Ampel und einer weiteren drohenden Klage der Opposition gegen den Wirtschafts-Stabilisierungsfonds stellt sich die Frage, ob die Dreier-Koalition noch die Kraft für die zweite Hälfte der Legislaturperiode hat. Dem Jahresende kraftlos entgegen wankend, dokumentieren Umfragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein Ende des Gewürges herbeisehnt und in einer erneuten Großen Koalition das geringere Übel zu sehen bereit ist.

Die Szenen gleichen sich. Vor zwanzig Jahren war Deutschland unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder schon einmal der kranke Mann Europas. Schröder (Olaf Scholz war in jenen Jahren SPD-Generalsekretär) suchte seinerzeit die Flucht nach vorne und setzte, zum Entsetzen vieler Genossen, die berühmte Agenda 2010 durch, reformierte den Arbeitsmarkt und stärkte den Standort Deutschland. Mit der Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit blühte Deutschlands Wirtschaft auf. Dennoch blieb „der Gerd” für viele Genossen ein Buhmann und verlor die 2005 Bundestagswahl. Inzwischen gilt er wegen seiner Kameraderie mit Wladimir Putin als Schandfleck.

Zur Revitalisierung seiner Ampel-Regierung bräuchte Scholz, so wie einst Schröder, einen Befreiungsschlag. Doch wirkt er, im Vergleich zu seinem Vorvorgänger, in der aktuellen Krise eher hilflos. Eigentlich wäre eine „Agenda 2030“ mit einer umfassenden Unternehmenssteuerreform und einer Modernisierung des Standortes Deutschland durch entschlossene Digitalisierung und Entbürokratisierung notwendig.

Um den Neuanfang deutlich gegenüber der Öffentlichkeit zu markieren, wäre angesichts des geringen Ansehens der Kabinettsmitglieder auch eine Regierungsumbildung vonnöten als ein erster Schritt der Befreiung aus der Selbstlähmung. Scholz aber scheut einen solchen echten „Wumms“, lenkt dieser doch auch den Blick auf sein eigenes schwaches Ansehen.  Außerdem sind die größten Schwachpunkte des Kabinetts in SPD-Hand – das Bundesinnenministerium mit der erst unlängst in Hessen krachend gescheiterten Nancy Faeser und das Gesundheitsministerium mit Karl Lauterbach.

Grüne und FDP würden auch einem Austausch ihrer Minister auch ganz gewiss nicht zustimmen. Der Kanzler bestimmt nach der Verfassung zwar die Richtlinien der Politik. Allerdings in der Praxis nicht über die Personen, welche diese Richtlinien umsetzen sollen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

           

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