Von Gisbert Kuhn

Gisbert Kuhn

Es ist wirklich schwer zu fassen. Da brennt es rund um uns herum auf dem Globus. Da verheizt der Moskauer Möchtegern-Stalin namens Wladimir Putin bedenkenlos ganze Generationen junger Männer, um – in der Ukraine angefangen – seinen Traum von der Weltherrschaft zu verwirklichen. Da verliert Israels Ministerpräsident Nethanyahu bei seiner – angesichts des tausendfachen Massakers vom 7. Oktober (ohne jeden Zweifel gerechtfertigten) Strafaktion gegen die palästinensische Terror-Organisation Hamas offensichtlich jedes Maß und droht, sein – auf Hilfe und Solidarität angewiesenes – Land in eine totale politische Isolation zu stürzen. Und da weiß die dreifarbige Rot-grün-gelbe Ampelkoalition in Berlin nichts Dümmeres, als sich in Dauer-Rivalitäten permanent zu zerfetzen, statt sich endlich daran zu gehen, worauf sie einen Amtseid geschworen haben – nämlich: Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, seinen Nutzen zu mehren usw, usw, usw.

 Als ob in Berlin nicht schon genügend politisches Porzellan zerbrochen worden wäre, beginnend mit Robert Habecks inhaltlich und personell total verkorkstem Heizungs- und Wärmepumpen-Projekt und jetzt (wenigstens zunächst einmal wieder) endend mit der Kindergrundsicherungs-Idee der grünen Familienministerin Lisa Paus. Dabei kann man den jeweiligen Protagonisten gar nicht vorwerfen, nicht das Beste zu wollen oder gewollt zu haben. Schließlich ist es ja auch richtig, in unserer Gesellschaft dafür zu sorgen, dass Kinder nicht in Armut zu leben brauchen. Aber gut gemeint ist (das ist, weiß Gott, keine neue Erkenntnis) noch lange nicht gut gemacht. Zum Beispiel fragt man sich doch zwangsläufig, welche mathematischen Maßstäbe die Ministerin Paus eigentlich angelegt hatte, als sie bei ihrer Haushaltsplanung zunächst 12 Milliarden Euro ansetzte, um sich später vom FDP-Finanzminister Christian Lindner (freilich unter kräftiger Mithilfe von Bundeskanzler Scholz) auf 3 Milliarden (!) runterhandeln zu lassen. Und wohl nicht minder (und zwar im Sinne des Wortes) fragwürdig ist der Plan, für die Umsetzung dieser Art der Kindergrundsicherung eine ganz neue Behörde mit 5000 (!) zusätzlichen Bediensteten zu schaffen.

Am besten, man malt sich gar nicht erst aus, wie viele Schulen, Kitas, Turnhallen, Digital-Ausrüstungen und Dergleichen man für den Betrag bauen und anschaffen könnte, den allein die Personal- und Verwaltungskosten der neuen Geldverteilungsstelle verschlingen würden. Nun steht jedoch zu befürchten, dass auch in diesem Fall – also wieder einmal – die Prinzipienreiter und Möchtegern-Menschheitsbeglücker über den Sach- und gesunden Menschenverstand obsiegen. Denn für die Grünen gehört das Thema Grundsicherung nun einmal zu den Herzensangelegenheiten. Genauso, übrigens, wie es die Frage „Tempo 100“ bei Lindners Freidemokraten der Fall ist. Mit Vernunft und Rationalität hat weder das eine noch das andere zu tun. Und unter vernünftigen (vor allem aber verständigen) Menschen müssten solche Streitthemen relativ einfach zu regeln sein – und sei es bei einem Glas guten Weines.

Ja, natürlich war von vornherein klar, dass ideologisch und inhaltlich Welten zwischen den Vorstellungen von FDP und den beiden anderen Partnern liegen – besonders zu den Grünen. Aber wenn man sich schon einmal entschlossen hat, gemeinsam das Land zu regieren, dann ist Zusammenarbeit Pflicht. Das schließt Konflikte nicht aus. Doch müssen die jedes Mal mit voller Lautstärke auf allen Marktplätzen ausgetragen werden? Zumal dies bei Weitem keineswegs das Entscheidendste für den labilen Zustand unseres Landes ist. Viel dramatischer ist die Tatsache, dass immer mehr Bürger ganz offensichtlich das Vertrauen in die Demokratie und die freiheitlich-liberalen Kräfte verlieren und sich mit autoritären bis extremistischen politischen Bewegungen vorzugsweise am rechten aber auch am linken Rand anfreunden. Stattdessen starren die Altparteien besonders auf die rechtsradikale AfD und deren Besorgnis erregende Zuwächse und merken offensichtlich gar nicht, dass sie selbst mit Schuld tragen an dieser Entwicklung.

Dass die ganz gewiss nicht erhebenden Erfahrungen mit der gegenwärtigen Ampelregierung freilich auf genügend Zeitgenossen abschreckend genug wirken, um künftig lieber die Finger von neuen, ähnlichen Polit-Experimenten zu lassen, ist wohl eher nicht zu erwarten. Und wie neue Regierungen im Bund und in den Ländern geschmiedet werden sollen, falls die von Nazi-Ideologien und Putin-Nähe geprägte AfD tatsächlich gestärkt aus den diversen Urnengängen hervorgehen sollte, wirft Fragen auf, denen man sich am liebsten nicht näher möchte. Lieber bucht man als Bundesbürger schnell noch einen Sonnenurlaub irgendwo im Süden.

Merken die an der Spree die Verantwortung Tragenden eigentlich wirklich nicht, auf welch dünnem Eis nicht nur sie sich mit ihrem leichtsinnigen Gezänk bewegen? Ist ihnen tatsächlich nicht bewusst, dass der Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft auf dem Spiel steht? Und nicht nur das. Deutschland ist ganz sicher nicht die Welt. Aber dieses Land mit seiner Wirtschaftskraft und (vielleicht irgendwann wieder) seinem Militärpotential ist halt auch nicht irgendjemand, sondern – so oder so – immer richtungsweisend für das übrige Europa. Wohin steuern wir, wenn eine so irrlichternde Figur wie Donald Trump am Ende wahrhaftig im Herbst die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen sollte? Wie wird die von Wohlstand verwöhnte und nur den (zumeist auf amerikanischen Schultern ruhenden) Frieden gewöhnte Bevölkerung reagieren, sollten ihr eines vielleicht gar nicht mehr so fernen Tages wirklich fühlbare Opfer und Einschränkungen abverlangt werden?

Dazu hätte man gern eigentlich schon seit Längerem deutliche Worte von Olaf Scholz vernommen – von dem Mann also, dem immerhin die Lenkung des Staates übertragen wurde. Aber ist das im Ernst von jemandem zu erwarten, dessen altehrwürdige Partei, die SPD, mittlerweile nur noch Zustimmungswerte erfährt, die von denen einer Volkspartei meilenweit entfernt sind? Einer Partei, die interessanterweise mit Boris Pistorius – immerhin dem Verteidigungsminister – den mit Abstand populärsten sozialdemokratischen Politiker in der Wählergunst stellt, der in weiten Teilen der eigenen Genossenschaft jedoch nur zähneknirschend geduldet wird? Angeblich soll Olaf von den Wahlkampfstrategen als Friedenskanzler aufgebaut werden und als solcher kommendes Jahr ins Rennen um die Stimmen zum nächsten Bundestag gehen. Eine – zugegeben – etwas abenteuerlich anmutende Vorstellung angesichts der Kriege und Unruhen rings umher.

 

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.

 

- ANZEIGE -