Demoskopisches Todesurteil

Dieter Weirich

Bis Pfingsten wollen sich die Vorsitzenden von CDU und CSU, die Ministerpräsidenten Armin Laschet und Markus Söder geeinigt haben, wer die Unionsparteien als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt. Ob der Heilige Geist schon zuvor einen der beiden Bewerber überkommt und zum Rückzug bewegt, ist offen. Laschet, der als CDU-Chef das „erste Zugriffsrecht“ hat, drängt auf eine rasche Entscheidung, sein bayerischer Rivale will sich Zeit lassen. Offiziell haben beide den Hut noch gar nicht in den Ring geworfen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) lässt sich derweil mit dem Ratschlag vernehmen, den Kanzlerkandidaten möglichst spät zu nominieren. An der Seite einer abtretenden Kanzlerin als Nachfolgekandidat agieren zu müssen, sei eine schwierige Wegstrecke.

Die Union ist nach einem vorübergehenden Hoch in den Umfragen wieder dort gelandet, wo sie nach dem desaströsen hessischen Landtagswahlergebnis im Herbst 2018 schon einmal stand. Schweres Versagen im Corona-Management, ein angeschlagener Gesundheitsminister, ein von der Wirtschaft als Fehlbesetzung bezeichneter Wirtschaftsminister und korrupte „Masken-Raffkes“ haben zu einem Tiefstand im Vertrauen der Bevölkerung geführt.

Plötzlich stellt sich nicht mehr die Frage, mit wem eine christdemokratische Regierungspartei nach der Wahl koaliert, sondern ob es in der Nach-Merkel-Zeit überhaupt noch für eine weitere Kanzlerschaft reicht. Noch kann keine Wechselstimmung ausgemacht werden, doch rückt angesichts der für die Union ernüchternden Umfrage-Ergebnisse ein mögliches Bündnis wie in Rheinland-Pfalz aus SPD, Grünen und der FDP durchaus in den Bereich des Möglichen.

Hat die Vereinbarung zwischen Laschet und Söder Bestand, dass der Kandidat mit den besten Aussichten antreten solle, dann liegt der bayerische Regierungschef bei den Wählern im Wettbewerb eindeutig vorne. Er ist – Umfragen – zufolge weit beliebter und kompetenter als Laschet, der einen qualvollen demoskopischen Tod zu sterben droht. Nach jüngsten demoskopischen Befunden erreicht er noch nicht einmal die Popularitäts- und Kompetenzwerte des grünen Konkurrenten Robert Habeck. Ganz anders Söder, der auch bei solchen Vergleichen weit vorne liegt.

Noch hat Laschet die Unterstützung einiger Landesvorsitzenden, doch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzen immer mehr (um ihre Wiederwahl fürchtende) Abgeordnete auf Söder und verlangen, er möge sich endlich erklären. Ein Wahlkampf mit Laschet gleiche einem Marsch der Lemminge, heißt es. Sollte es zu einer Kampfkandidatur kommen, stellt sich die Frage der Abstimmung. Die einzige Klammer zwischen CDU und CSU ist die gemeinsame Bundestagsfraktion. Bei der Bundestagswahl 1980 hatte sich der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß gegen seinen niedersächsischen Kollegen Ernst Albrecht durchgesetzt.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, veröffentlicht jeden Montag mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Frankfurter Neuen Presse”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte lang als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

 

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