Wie Gender-Aktive die  Sprache verhunzen

Von Günter Müchler

Neulich ergab sich ein kurzes Rendezvous mit dem ZDF. Auf dem vorgegebenen Kontaktweg hatte ich der Anstalt mitgeteilt, dass die aktuellen Sendungen des Hauses künftig auf mich als Nutzer verzichten müssten. Und zwar wegen der penetranten Sprachpanscherei, die dort betrieben werde. Die Mainzer antworteten im verschwurbelten Parlando einer Gleichstellungsbehörde:

„Sehr geehrte*r Zuschauer*in,

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Da ZDF hat sich das Ziel gesetzt, diskriminierungsfrei zu kommunizieren. Die Gesamtheit unserer Zuschauer*innnen soll sich im Programm angesprochen und wertschätzend behandelt fühlen. In der schriftlichen Kommunikation verwenden wir deshalb den Genderstern. Einige Moderator*innen und Korrespondent*innen verwenden gendersensible Sprache gelegentlich auch in ihren Moderationen und Beiträgen, indem sie eine kleine Pause zwischen dem Wortstamm und der weiblichen Endung machen.“

Eine Vorgabe seitens der Anstaltsleitung existiere nicht, wurde mir versichert. „Die Redaktion entscheidet nach interner Diskussion, welche Form der Ansprache für das jeweilige Format am besten geeignet ist.“

Ignorant oder „alter weißer Mann“

Es hätte schlimmer kommen können. Wer es heutzutage nämlich wagt, „gendersensible“ Sprachformen zu kritisieren, erlebt nicht selten, als Ignorant oder – noch besser – alter weißer Mann abgewatscht zu werden. Zwei Aussagen der Stellungnahme überraschten mich denn doch. Da räumt also Europas größte Fernsehanstalt ein, sie habe offensichtlich über Jahrzehnte Teile der Gebührenzahler (konkret: die Frauen) unwürdig behandelt, weshalb man jetzt fest entschlossen sei, durch das neue Unternehmensziel namens „diskriminierungsfreie Kommunikation“ Buße zu tun.

Das erstaunliche Geständnis wirft Fragen auf, auch Rechtsfragen. Können jene, die doch angeblich jahrelang in ihrer Würde verletzt wurden, bei den Mainzern jetzt Schmerzensgeld einklagen? Oder brauchen Frauen (eine immerhin auch denkbare Lösung) künftig nur die Rundfunkgebühr abzüglich der geplanten Erhöhung zu zahlen? Erst recht ins Grübeln bringt der Schlusssatz: „Die Redaktion entscheidet nach interner Diskussion, welche Form der Ansprache für das jeweilige Format am besten geeignet ist.“

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

Man weiß, wieviel Energie und Geld Medienunternehmen darauf verwenden, die „Corporate Identity“ (also ihr Selbstbild) zu schärfen. Da wird standardisiert, was ungerade ist, es werden akustische und visuelle Merkmale fabriziert und eingeübt – alles bloß um des Ziels der Wiedererkennbarkeit willen. Und nun, wo es um die Sprache geht, sagt die Geschäftsleitung: Jeder darf, wie er will?“ Die Folge ist die Pulverisierung der Sprachverlässlichkeit, ein schrilles Pêle-mêle: Mal hört man siebenfach hintereinander, dass „Ministerpräsidentinnen und Minister“ dieses getan und jenes unterlassen hätten, mal werden zur Vermeidung endloser Doppelungen innerhalb von Hauptwörtern Kunstpausen eingelegt, als wäre aus Versehen die Räuspertaste gedrückt worden. Und zwischendurch wird tatsächlich auch mal die Information in der sprachgewohnten Weise verabreicht, was dann allerdings wieder das Anstaltsziel einer diskriminierungsfreien Kommunikation unterminiert. Honi soit qui mal y pense! – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

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Ein guter Freund ist der Ansicht, als Realist müsse man einsehen, dass keine auch noch so abstruse Schrägheit beim Sprachgebrauch den Vormarsch des Gender-Neusprechs stoppen werde. Vermutlich hat er Recht. Das Behördendeutsch ist schließlich bereits fast hundertprozentig gender-durchseucht. Die Duden-Redaktion will, nachdem sie jahrelang rauf und runter diskriminierte, ebenfalls nicht länger in Sack und Asche gehen und hat für 2021 eine großformatige Selbstreinigung versprochen (der Linguist Peter Eisenberg qualifizierte das Versprechen der Duden-Leute inzwischen als „skandalöse Fälschungsabsicht“). In den öffentlich-rechtlichen Medien hat der sprachpolitische Blindflug lämgst schon so etwas wie Wettbewerbscharakter angenommen. Das ZDF liegt dabei gut im Wind, sieht sich allerdings heftigster Konkurrenz anderer nicht kommerzieller Sender ausgesetzt. Nur die Zeitungen scheinen sich – noch – gegen den Trend zu wehren, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass sie sich eine Verärgerung der  Kunden finanziell nicht leisten können.

„Die Leute gewöhnen sich daran“

Wie die Bevölkerung zur Genderei steht, kann man nur ahnen. Nach Aussage der ZDF-Moderatorin Petra Gerster in einem Interview mit der „Tageszeitung“ (TAZ) ist bei den Zuschauern, nach anfänglich zahlreichen Protesten, mittlerweile eine Gewöhnung zu verspüren. Die Demoskopenbranche, deren Wissensdrang ansonsten doch grenzenlos ist, fällt bei diesem Thema durch Inaktivität auf. Offenbar fehlen die Auftraggeber. Dabei müssten die einschlägigen Ministerien, Gleichstellungsbehörden und Inhaber der zahllosen Gender-Lehrstühle (inzwischen mehr als 100) an Hochschulen und Fachhochschulen doch eigentlich interessiert sein. Geld genug haben sie. Aber sie wissen wohl, warum sie es nicht so genau wissen wollen…

Unterstellen wir also, dass die Deutschen augenblicklich dringendere Bedürfnisse haben als neue, rätselhafte Sprachregeln zu erlernen. Aber weshalb wird, wenn es so ist, hingenommen, was sich da in alltagsärgerlicher Weise einnistet? Warum lassen sich Redakteure vorschreiben, Wortungetüme zu benutzen, deren Aussprache ihnen abverlangt, vor den Mikrofonen zu röcheln wie Asthmatiker? Wieso schwimmen sie mit dem Strom, was bekanntlich nur die toten Fische tun? Der oben schon erwähnte gute Freund erinnerte vor ein paar Tagen an George Orwells futuristischen Polit-Roman „1984“. Die heutigen Redakteure seien wohl zu jung, meinte er, um den Klassiker überhaupt zu kennen und reagierten deshalb nicht so allergisch auf Sprachmanipulationen wie Redakteure in früherer Zeit, die stolz auf ihre Widerständigkeit waren. Mag sein, dass er Recht hat, doch führt der Vergleich mit Orwell in die Irre.

War hat eigentlich autorisiert?

In „1984“ ist jedem Akteur bewusst, dass der „Neusprech“ die Umerziehungsmaßnahme eines totalitären Staates ist. Davon kann heute nicht die Rede sein. Für die Eskapaden des Gender-„Neusprech“ ist ja vielmehr gerade charakteristisch, dass niemand mit Namen und Adresse dafür verantwortlich zeichnet; schon gar nicht eine staatliche Instanz. Hat sich die Bundeskanzlerin jemals zu dem Thema geäußert Hat der Bundestag ein Sprachgesetz dazu verabschiedet? Hat die SPD, die doch gerade Jedem hundert Euro in die Hand zahlt, der ihr eine Profilnische nennt, das Thema hochgezogen?

Nichts von alledem! Kein Intendant, der per orde de mufti den männlichen und weibichen Sprechern und Moderatoren auferlegt hätte, vor dem „innen“ mal kurz durchzuatmen. Niemand da, der schuld ist. Keiner, gegen den man auf die Barrikaden gehen könnte. Schlecht für die Demokratie, die damit ins Leere läuft. Und das tut sie wirklich: Habe ich etwa als Staatsbürger meine Stadtverwaltung beauftragt, sich an die Stelle von Linguisten zu setzen und – statt die Schultoiletten zu sanieren – im Handstreich neue Regeln für die deutsche Sprache durchzusetzen?

Es handele sich eben um einen basisdemokratischen Prozess, sagen die einen. Sprache verändere sich, im Übrigen, doch ständig, behaupten andere. Als ob das Gendern organisch in den Alltagsgebrauch hineinwüchse! Man muss kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um im Gegenteil zu vermuten, dass muskulöse Minderheiten am Werk sind, die ganz einfach ihre eigenen Vorstellungen von sprachlicher „Gerechtigkeit​“ durch sozialen Druck infiltrieren. Und zwar durch einen Druck, der so stark ist, dass das Umfeld aus Angst vor Stigmatisation in die Knie geht.

Winfried Kretschmann graut davor. Als Grünen-Politiker weiß der baden-württembergische Ministerpräsident, dass Gutmenschentum und Unduldsamkeit oft nah beieinander liegen. Er halte „von diesem ganzen überspannten Sprachgehabe“ rein gar nichts, erklärte er und fügte warnend hinzu: „Wir wissen seit der französischen Revolution, wohin der Tugendterror führt – zu nichts Gutem“.

Viel Aufwand bei der Sprachreform

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Die bisher letzte Rechtschreibreform, eingeführt zum 1. Juli 1996, war ganz gewiss kein großer Wurf. Aber es wurde wenigstens in der Öffentlichkeit darüber debattiert. Die Kulturminister und Experten im gesamten deutschen Sprachgebiet stritten jahrelang. Sie beauftragten das Institut für deutsche Sprache in Mannheim, einen Vorschlag zu erarbeiten, auf den man sich dann einigte. Das aufwändige Verfahren hätte ein besseres Ergebnis verdient gehabt. Und doch: Der Aufwand wurde betrieben, weil man um den kulturellen Wert der Sprache wusste. Inzwischen scheint den politischen Eliten dieses Wissen abhanden  gekommen zu sein. Die Behandlung landwirtschaftlicher Nutzflächen mit einem strittigen Düngemittel wird wichtiger genommen als die systematische Kontamination des kulturellen Bodens, auf dem wir leben.

Während sich die Politik durch Schweigen schuldig macht, prallen bei den Aktivisten des Genderns und der „politischen Korrektheit“ die unübersehbaren Widersprüchlichkeiten der praktizierten „sensiblen“ Sprache am Panzer der Gesinnungstreue ab. Der Einspruch der Fachwissenschaft: nebbich, uninteressant. Dass im Deutschen das grammatische Geschlecht mit dem biologischen nichts zu tun hat: Was kümmert’s die Eiche, wenn die Sau sich an ihr scheuert. Der Hund, die Katze, das Nilpferd: Tausendmal gesagt, niemals entkräftet. Die Dominanz des Maskulinen, angeblich planvoll konserviert durch männliches Vormachtstreben: eine Legende. Es heißt die Person, die Gesellschaft, die Koryphäe. Sämtliche Wissenschaften von Anthropologie bis Zahnmedizin sind mit dem weiblichen Artikel verbunden!

Im Plural regieren die Frauen

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Gleiches gilt für die drei historischen Losungsworte der französischen Revolution von 1789, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Muss man als männliches Mitglied der Sprachfamilie vor das Antidiskriminierungs-Gericht ziehen, weil die Sprache Verstandeskraft scheinbar nur dem weiblichen Geschlecht zuordnet („Intelligenzbestie“)? Im Plural regiert der feminine Artikel ohnehin absolutistisch. Die Sprache kennt nur die Metzger, die Lokführer, die Eisenbieger. Selbst die Päpste müssen sich mit diesem Schicksal abfinden, worauf kürzlich die Theologin und Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg, Spezialistin für Reformationsgeschichte, augenzwinkernd hingewiesen hat.

Vor ein paar Wochen leistete sich das Bundesjustizministerium (BMJ) den Jokus, in einen Entwurf zur Neufassung des Insolvenzrechts durchweg Wörter wie Geschäftsführerin, Schuldnerin oder Verbraucherin hineinzuschreiben. Als das Bundeinnenministerium den Entwurf aus formalen Gründen zurückwies, schob das Haus von Ministerin Christine Lamprecht als Begründung nach, man habe den Männern „nur einmal zeigen wollen“, wie es sich anfühle, wenn man immer bloß „mitgemeint“ sei. Rache mag ja süß sein. Sie kommt aber ohne eine Portion Konsequenz nicht aus.

Deshalb darf man gespannt sein, ob das BMJ im nächsten Strafrechtsentwurf den Dieb, den Betrüger, den Fälscher, den Vergewaltiger grammatikalisch entmannt. Die Mörderin ist immer die Gärtnerin? Nur ein Vorschlag. Die inkonsequente, allein der Gesinnung passgerechte, Anwendung der Gender-Sprache ist auffällig; man stolpert darüber. Im Kölner Kommunalwahlkampf betriebt Henriette Reker, das amtierende Stadtoberhaupt, großflächig Eigenwerbung mit dem Slogan, die Stadtregierung müsse „Chefinnensache“ bleiben. Warum auch nicht? Allerdings darf man fragen, weshalb Frau Reker, eine forsche Anhängerin amtlicher Gender-Kommunikation, sich weiterhin als Oberbürgermeisterin ansprechen lässt und nicht auf der Bezeichnung OberbürgerInnenMeisterin besteht?

Nur das Gefühl zählt

Mag sein, dass sie die Frage idiotisch findet – einfach, weil den AnhängerInnen des Gender-Sprech jedwede Evidenz wurscht ist. Es sei denn, sie frommt ihrer Sache. Was sind schon Tatsachen, wo es doch gar nicht darauf ankommt, was ist, sondern wie es empfunden werden könnte? Der Gender-Bewegung ist mit Fakten so wenig beizukommen wie Donald Trump mit der Wahrheit. Sie hat sich von der Aufklärung verabschiedet. Und der Rest unseres Volkes?

 

Dr. Günter Müchler war langjähriger Programmdirektor des Deutschlandfunks (DLF) in Köln.

 

 

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