Von Günter Müchler

Günter Müchler

Zu den politischen Modewörtern, die verdrießlich machen, gehören Vielfalt und Spaltung. Als Erkennungszeichen linksgrüner Gesinnung bilden sie gewissermaßen den Plus- und den Minuspol eines Universums, in dem das Gute und das Böse um höchste Einsätze ringen. Für Vielfalt wird geworben, vor Spaltung wird gewarnt. Während der Vielfalts-Begriff auf Geschlecht, Hautfarbe, Alter oder sexuelle Vorlieben bezogen ist, drückt Spaltung mehr ein Gefühl aus.

Spaltungserscheinungen werden beklagt zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen, zwischen Demokraten und Undemokraten, zwischen den Befolgern von Regeln und denen, die sich an keine halten. Dass es nicht so einfach ist, das Gute vom Bösen klar zu unterscheiden, zeigt sich beim so genannten Gendern. Hier sind die Spalter diejenigen, die den Splitter stets nur im Auge des Andern suchen, während ihnen der Balken im eigenen egal ist. Sie lassen nur ihre Regeln gelten und respektieren weder die Sprache noch die Meinung der Mitmenschen.

Begonnen wurde mit dem Gendern in den siebziger Jahren. Der Feminismus war nach langen, verdienstvollen Kämpfen auf der Siegesstraße. Patriarchalische Machtpositionen wurden eine nach der anderen geschleift. Die Benachteiligung der Frauen vor dem Gesetz hörte auf, ein Thema zu sein. Also wurde das Ziel neu justiert. Der Kampf um Gleichberechtigung verlagerte sich auf den Kampf um Gleichstellung. Ins Visier geriet die Sprache, die als männlich dominiert auf die Anklagebank gesetzt wurde. „Mit dem Wörtchen ‚man‘ fing es an“, behauptete Luise F. Pusch, die Mutter der feministischen Sprachkritik.

Jahrzehnte vergingen, ehe der quasi unter Tage geführte Kampf von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Führend beim Durchbruch war das ZDF. Mit Beginn der zwanziger Jahre in neuen Jahrtausend wurde in den Nachrichten der Mainzer Fernsehanstalt gegendert – das heißt, an so ziemlich alle Hauptwörter, die in der „Mannlichkeitsform“ enden oder auch nur so empfunden werden, ein weibliches „in“ angehängt. Die übrigen öffentlich-rechtlichen Sender reihten sich ein. Sie teilen sich den Platz in der Gender-Avantgarde mit Universitäten und öffentlichen Verwaltungen.

Eine feste Burg hat das Gendern außerdem in den Spitzen von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) bis hin zu den Kirchen. In diesem elitären Milieu bilden das Eintreten für „Diversity“ sowie die Forderung, Kommunikation „wertschätzend“ zu betreiben und Frauen in der Sprache „sichtbar“ zu machen, eine rhetorische Schleife, die in keiner öffentlichen Äußerung fehlen darf. Vorn mit marschiert die Wirtschaft. Kein DAX-Unternehmen, das seine interne Kommunikation nicht längst auf „wertschätzend“ umgestellt hätte. Munitioniert durch Daten, die die mehr als 200 Lehrstühle für Gender-Studien an den Hochschulen zuverlässig liefern, versprechen „Diversity“-Beauftrage, die Steigerung des Betriebsergebnisses sei eine Kleinigkeit, vorausgesetzt, man nutze in Vorständen und Arbeitsteams die Schwarmintelligenz der Vielfalt. Vorzeigeprojekt ist die wirtschaftsbasierte „Charta der Vielfalt e.V.“ Sie nennt sich die „größte Arbeitgebendeninitiative zur Förderung der Vielfalt in der Arbeitswelt“, sie verleiht einen „Inklusionspreis“, vertritt angeblich 5900 Firmen und Institutionen, und einmal im Jahr begehen die „Unterzeichner*innen“ der Charta feierlich den „Deutschen Diversity Tag“. Schirmherr ist Bundeskanzler Olaf Scholz.

Angesichts der hoch angesetzten Unterstützung müsste man eigentlich erwarten, dass das Gendern auf dem Markt der Meinungen wie ein Komet einschlage. Das Gegenteil ist der Fall. Ungeachtet der täglichen Beschallung haben die Anhänger der (in der Praxis unaussprechbaren) Gendersprache in keiner gesellschaftlichen Gruppe die Mehrheit, auch nicht bei Frauen und Grünen. In der Gesamtbevölkerung liegt die Ablehnung stabil bei gut 80 Prozent. Trotzdem hält der sprachverändernde Dauerbeschuss an.  Besonders hervor tun sich dabei weiterhin die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich ja bekanntlich der Demokratie besonders verpflichtet fühlen und  versichern, ihre Programmpolitik nur an den Wünschen der Nutzer zu orientieren. Dabei werden Proteste der Nutzer genauso beiseitegeschoben wie soziologische Studien, die eindeutig ergeben, dass das Gendern die Gesellschaft spaltet.

Ein Keil wird auch in die Sprache getrieben. Es war einmal feministisches Credo, die Unterscheidung der Geschlechter einzuebnen. Inzwischen ist eine Nachricht in Hörfunk und Fernsehen nur noch dann state of the art, wenn der Sexus den Refrain abgibt. Früher war es journalistischer Ehrgeiz, elegant und abwechslungsreich zu formulieren. Mittlerweise scheint die ständige Wiederholung von „Politikerinnen und Politiker“, „Athletinnen und Athleten“ und so weiter nur noch die Gebührenzahler zu stören. Aber was zählen die schon?

Noch schlimmer gequält wird die gesprochene Sprache durch das an ein Substantiv angehängte „innen“, das durch eine Kunstpause hervorgehoben wird, die Fachleute Stimmritzenverschlusslaut oder Glottisschlag nennen. Erst recht nervt der Missbrauch des Partizip Präsenz („Teilnehmende“, „Radfahrende“). Es hilft nichts einzuwenden, dass „Studierende“ nur dann Studierende sind, wenn sie gerade dabei sind zu studieren, nicht aber dann, wenn sie abends Skat spielt oder unzüchtige Lieder singen, was bei Studenten vorkommen soll. Der Vorwurf, gegen Grammatik, guten Stil oder Sprachgefühl zu verstoßen, prallt an den Partisanen des Genderns wirkungslos ab. Ihnen geht es um Höheres.

Um Höheres ging es schon den Bildungsreformern der siebziger Jahre, die sich der geschriebenen Sprache annahmen. Weil ihrer Meinung nach allzu viele Regeln dem Ziel, möglichst jeden Schüler zum Abitur zu führen, im Weg standen, wurde das Regelwerk aufgeweicht und die Nichtbeachtung von traditionell geltenden Regeln billigend in Kauf genommen. Die Folgen sind bekannt: Lese- und Rechtschreibschwächen, die Deutschland im internationalen Vergleich schlecht aussehen lassen. Dabei ist auf dem Holzweg, wer sich einredet, die Abwesenheit von Regeln bedeute ein Mehr an Freiheit. Denn natürlich gibt es noch immer Menschen, die wissen wollen, was richtig ist. Für sie wird die Sprache, die sie erlernt haben und in der sie sich einst entspannt bewegten, zum Hindernisparcours.

Woran soll man sich halten? Was ist richtig, was falsch? Für die, die in Gleichstellungsbehörden ihr Geld verdienen und in Stadtverwaltungen oder an Universitäten aufwändige Leitfäden für „wertschätzendes“ Sprechen entwickeln, sind das törichte Fragen. Für sie muss Sprache empathisch auf die Bedürfnisse angeblich marginalisierter Gruppen eingehen, auf Frauen, Homosexuelle und Diverse zum Beispiel. Sprache muss Diskriminierung beseitigen und Gerechtigkeit herbeiführen. Und wenn sich die Mehrheit der Frauen und Mädchen durch den Gebrauch des generischen Maskulinums gar nicht diskriminiert fühlt? Umso schlimmer für sie. Schon gar nicht beeindrucken lässt sich die Gerechtigkeits-Avantgarde von Einrichtungen wie dem Rat für Rechtschreibung. Dieser war 2004 ins Leben gerufen worden, um die schlimmsten Ausuferungen der Rechtschreibreform einzufangen. Wiederholt hat der Rat betont, dass Wörter mit Gender-Sternchen weiterhin nicht zur amtlichen deutschen Rechtschreibung gehören. Die Aussage wurde erst kürzlich von der Kultusministerkonferenz unterstrichen. Stadtverwaltungen und Universitäten stellen sich dumm. Sie machen einfach weiter.

Die Ablehnung des Gender-Sternchens hat der Rat für Rechtschreibung mit einem starken Argument unterlegt. Sonderzeichen seien verwirrend. Sie erschwerten Les- und Vorlesbarkeit und benachteiligten in Deutschland rund zehn Millionen Menschen, die als Sehgeschädigte, Illiterate oder Migranten schon benachteiligt seien, erklärte der Rechtschreibrat. Den Grünen müsste das Argument eigentlich zu denken geben.  Unter allen Parteien sind sie es, die am lautesten mehr Integration und Inklusion einfordern. Aber sie wollen den Schuss nicht hören. Nach wie vor müssen Anträge zu Parteitagen der Grünen in Gendersprache verfasst sein. Nach wie warnen grüne Spitzenpolitiker vor den Gefahren, die der Demokratie durch Spaltung drohen, während sie selbst die Spaltung verstärken. Blindheit oder Heuchelei? Heinrich Heine („Ich weiß, sie tranken heimlich Wein, und predigten öffentlich Wasser“) hätte gewusst, was man davon zu halten hat.

In Hamburg ist eine Volksinitiative dabei, Unterschriften für ein Genderverbot zu sammeln. In den Ländern Hessen, Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein wurde die Verwendung der Gendersprache in Verwaltung und Bildungseinrichtungen bereits untersagt. Wie ernst das gemeint ist, muss sich erst herausstellen. Entscheidend wird sein, ob z.B. Lehrkräfte, die gegen die Vorschrift verstoßen, sanktioniert werden. Geschehen ist das bisher nicht.

Das Magazin „Der Spiegel“ fragte kürzlich: „Hat es sich ausgegendert?“ Skepsis ist angebracht. Tatsächlich hat das Gendern bei gleichbleibender Ablehnung Aufmerksamkeit eingebüßt. Es ist nicht mehr der große Aufreger. Das mag an Ermüdung liegen oder daran, dass der Anhang momentan eine Feuerpause einlegt. Mit Einsicht sollte man das nicht verwechseln. Der Gedanke, der Sprachkrieg sei spalterisch und ignoriere als elitäres Projekt die Benachteiligten, die man zu vertreten vorgibt, liegt den Befürwortern des Genderns so fern wie der Respekt vor der Sprache, die für all das, was ihr angetan wird, nichts kann. Lieber flüchtet man sich in das übliche Bewertungsmuster. Wer gegen das Gendern sei, spiele das Spiel der AfD. Ein Stück wie aus dem Kulturtheater von Absurdistan.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.    

 

 

   

 

- ANZEIGE -