Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

Mit der hessischen Landtagswahl, wo er mit 34,6 Prozent doppelt so stark wie Grüne und SPD abschnitt, festigte er nicht nur den Regierungsanspruch der CDU, er avancierte auch zu einem bundespolitischen Schwergewicht. Jetzt wurde der 52 Jahre alte Frankfurter Jurist Boris Rhein zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes im Herzen Deutschlands gewählt. Bei Volker Bouffier als Nachfolger unerwünscht, setzte sich der jungenhaft wirkende, taktisch wendige und selbstbewusste Politiker im innerparteilichen Rennen um das Amt des Regierungschefs durch, die Grünen spielten beim vorzeitigen Machtwechsel mit, seither ging es nur „rheinaufwärts“. Jetzt geht Rhein mit der SPD eine „christlich-soziale Koalition“ ein, die erste in der Geschichte des einst jahrzehntelang von den Sozialdemokraten beherrschten Bundeslandes.

Dieser Schwenk der CDU könnte eine große strategische Bedeutung als Modell haben. Die Berliner CDU-Spitze um Friedrich Merz und Carsten Linnemann möchte eine „ähnliche Option bei der Bundestagswahl“ sehen. Dass Rhein trotz eines komfortablen Ergebnisses der AfD die Qual der Wahl bei den Partnern für ein Regierungsbündnis hatte – eine solche Ausgangslage erhofft man sich im Konrad-Adenauer-Haus auch bei der nächsten bundespolitischen Entscheidung.

Geht es bei der CDU allerdings um Koalitions-Arithmetik in der Zukunft, ist Streit vorprogrammiert. Henrik Wüst und Daniel Günther dürften ihre erfolgreichen Verbindungen mit den Grünen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auch fürs ganze Land anpreisen.

Dass Rhein und seine Partei sich für die SPD entschieden, war überraschend. Schließlich galt der Hessische Landtag doch lange als „Krawall-Parlament“ und als Kampfstätte unversöhnlicher Gegensätze zwischen CDU und SPD. Allerdings gibt es gute Gründe für die Koalition, ist die SPD nach ihrem desaströsen Wahlergebnis doch nach wie vor eine starke Rathauspartei. Alle Großstädte, bis auf Kassel, werden noch immer von Sozialdemokraten regiert.

Wer wie Boris Rhein die Massenmigration entschlossen bekämpfen will, findet in den Kommunen entschiedenere Mitstreiter als bei den Grünen, die über die Absage für ein erneutes Bündnis enttäuscht sind. Rhein wird auch in der Bundespolitik eine eigenständige Rolle spielen. Wie heißt doch der Slogan seines Landes: “An Hessen führt kein Weg vorbei”.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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