AfD-Verbot? Nein danke!
Von Günter Müchler
Die Examenstermine rücken näher. Im Juni geht es um Europa. Im September wählen die Thüringer, die Sachsen und die Brandenburger ihre neuen Landtage. Und weil die Auguren für die drei letztgenannten Urnengängen AfD-Mehrheiten als wahrscheinlich vorhersagen, wächst die Nervosität bei den Parteien des demokratischen Zentrums. Es mehren sich die Stimmen, die für ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei werben. Karlsruhe soll richten, was die Ampelparteien und die CDU/CSU nicht hinbekommen. Aber Angst ist nie ein guter Ratgeber. Eine Verbotsdiskussion im Vorfeld der Wahlen: Etwas Besseres kann sich die AfD gar nicht wünschen.
Viel ist über die Partei, die sich als Alternative für Deutschland empfiehlt, gesagt und geschrieben worden, über ihre Wachstumsgründe und ihren Charakter. Vor ein paar Tagen kam heraus, dass bei einem Treffen hinter verschlossenen Türen AfD-ler und Vertreter der rechtsextremen Identitären Pläne für eine „Remigration“ erörtert haben sollen. „Remigration“, mittlerweile zum Unwort des Jahres gekürt, steht in der Vorstellungswelt der Identitären für die Zwangsausweisung von Menschen, die nicht zum völkisch-germanischen Wunschbild der Identitären passen.
Die Enthüllung hat mit Recht für Aufsehen gesorgt. Ethnische Säuberungen wurden in Deutschland schon einmal erwogen (Madagaskar-Lösung), von den Nazis nämlich, ehe sie sich zur Ermordung der europäischen Juden entschlossen. Überraschen konnte das jetzt Freigelegte also nicht. Nur Naivlinge sind der AfD auf den Leim gegangen, als diese Kontaktverbote mit Identitären untersagte (2016) und den als Sammelbecken der Völkischen in der Partei fungierenden „Flügel“ für aufgelöst erklärte. Braunes Gedankengut ist in der AfD heimisch, die Radikalisierung nimmt zu. Auf die bürgerliche Attitüde, die sich einige Funktionäre der Partei zugelegt haben, sollte niemand hereinfallen.
Wer Menschen aus unserem Land ausweisen will, weil ihm zum Beispiel die Hautfarbe nicht passt, steht außerhalb des Grundgesetzes. Daran gibt es keinen Zweifel. Klar ist auch: Unsere Demokratie eine wehrhafte. Sie nimmt das Recht für sich in Anspruch, präventiv gegen Verfassungsfeinde vorzugehen. Wenn das so ist – spricht dann nicht alles für ein Verbot der AfD? So argumentieren beispielsweise die Co-Vorsitzender der SPD, Saskia Esken, und der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, der der CDU angehört. Andere Politiker warnen dagegen vor Kurzschlüssen. Sie erinnern an die gescheiterten NPD-Verbotsverfahren.
Zweimal wurde in Karlsruhe gegen die NPD verhandelt, einmal 2001. Der Antrag scheiterte aus Verfahrensgründen. V-Leute waren auf das Führungspersonal der Rechtspartei angesetzt worden, was das Bundesverfassungsgericht nicht in Ordnung fand. Ein weiterer Versuch scheiterte in den Zehner-Jahren. Diesmal urteilten die Karlsruher Richter, die NPD sei politisch zu schwach, um ihre Ziele durchzusetzen und unsere Ordnung umzustürzen. Volkstümlich hieß das, man solle nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Im Falle der AfD würde das Gericht eine Ablehnung so wohl nicht begründen. Eine Partei, die in die Nähe von 30-Prozent-Ergebnissen kommt, ist kein harmloses Kleinvieh.
Anträge auf ein Parteiverbot dürfen nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung stellen. Die Hürden sind aus guten Gründen hoch, weil es durchaus sein kann, dass ein Verbot der Demokratie mehr schadet als nutzt. Parteien sind Hauptakteure des demokratischen Wettbewerbs. Wenn sie Konkurrenten im Kampf um die Mehrheit des Feldes verweisen wollen, setzen sie sich dem Verdacht aus, dass sie, indem sie behaupten, die Demokratie zu schützen, ihr Eigeninteresse verfolgen. Parteiverbote können deshalb nur die ultima ratio sein. Zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde davon Gebrauch gemacht. 1952 wurde die SRP verboten, die Fünfte Kolonne der Alt-Nazis, 1956 die KPD, in der man den verlängerten Arm des Kremls sah. Als Vorlage für ein AfD-Verbot sind beide Anwendungsfälle untauglich. In den fünfziger Jahren herrschte Kalter Krieg, die Nazi-Zeit war gerade erst zu Ende, und die Demokratie musste noch laufen lernen. Inzwischen ist die Bundesrepublik mehr als siebzig Jahre alt. Sie gilt als eine der stabilsten Demokratien weltweit. Weshalb also kapitulieren?
Ein Verbot würde AfD-Abgeordneten Mandate und Diäten nehmen, aber nichts an Gesinnung und Gedankengut ändern, die sie nähren. Es würde von vielen, die keine Sympathie für die Rechtspartei hegen, als unfair wahrgenommen. In den neuen Bundesländern, wo das Gefühl, dass „die da oben“ für Volkes Stimme taub sind, besonders verbreitet ist, würden schlimme Erinnerungen an den SED-Staat wach werden. Wer kann das wollen?
In den Vereinigten Staaten lässt sich im Moment gut verfolgen, dass populistischen Bewegungen auf dem Rechtsweg nicht beizukommen ist. Trump hat durch den Sturm aufs Capitol den Umsturz versucht. Er läuft von einem Gerichtstermin zum andern. Der Aufruf zur Wahlfälschung wird ihm ebenso zur Last gelegt wie Steuerbetrug. Trotzdem hat er die Vorwahlen in Iowa haushoch gewonnen. Sogar unter evangelikalen Christen holte er die Mehrheit, obwohl gegen ihn der Verdacht der Vergewaltigung besteht. Das alles kann nur verstehen, wer die Bewegung, von der Trump getragen wird, als etwas Neues begreift – als ein Gefäß, in das vieles, auch Widersprüchliches, einfließt, und das zusammengehalten wird nur vom Glauben an die große Verschwörung. Verschwörungserzählungen bilden den Kitt auch im durchaus vielschichtigen Lager der AfD. Ein Verbotsantrag würde vermutlich keinen einzigen ihrer Partisanen abschrecken, vielmehr den Anhang im Sinne eines „jetzt erst recht“ zusammenschweißen.
Eine herausgeforderte Demokratie, der nichts Anderes einfällt, als zwanzig oder dreißig Prozent der Wählerstimmen unter den Teppich zu kehren, ist dabei, sich aufzugeben. Sie ist nicht wehrhaft, sondern zaghaft. Die CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat deshalb Recht, wenn er verlangt, die AfD politisch zu stellen. Hebel gibt es zuhauf: Was ist patriotisch daran, sein Land schlecht zu reden? Ist es patriotisch, dem blutigen Imperialisten Putin in den Hintern zu kriechen? Oder den Landsleuten vorzugaukeln, Deutschland sei stärker, wenn es aus EU und NATO austrete und in der globalen Konkurrenz ohne Bündnispartner dastehe? Es gibt keine unpatriotischere Partei als die AfD.
Unglücklicherweise ist in Berlin eine Regierung am Werk, die nicht gestaltet und schlecht verwaltet. Die Bevölkerung erwartet von der Regierung Führungskraft, wird aber immer wieder enttäuscht, weil die Koalitionspartner mit sich selbst beschäftigt sind und Olaf Scholz nicht als Autorität wahrgenommen wird. Die Schwäche der Regierung stärkt die Demagogen in ihrem wichtigsten Geschäftsbereich, der Verächtlichmachung des „Systems“.
Weiterer Pushfaktor der AfD ist die Migrationsfrage. Den Rosstäuschern politisch das Wasser abzugraben, bedeutet, ihnen den Alleinvertretungsanspruch für die Sorge vor unkontrollierter Migration zu nehmen. In der Vergangenheit waren sich die heutigen Ampelparteien darin einig, vor den unvermeidlichen Stressfolgen unkontrollierter Masseneinwanderung die Augen zu verschließen. Die frühere CDU-Vorsitzende und Langzeitkanzlerin Angela Merkel brachte es darin zur Meisterschaft. Inzwischen steigt der Zustrom derer, die ihre Heimat verlassen, weil sie verfolgt werden oder ein besseres Leben suchen, wieder deutlich an, national und europaweit. Kommunen und Schulen, Gesundheitswesen und Wohnungsmarkt sind am Limit. Sie warnen vor sozialen Konflikten, die nicht mehr beherrschbar sind. Eine Zeitenwende wird eingeklagt, auch in der Migrationspolitik. Sie ist überfällig, soll der maßvolle Zuzug, den unser Land aus demographischen Gründen benötigt, überhaupt noch durchsetzbar sein. Wer das nicht sehen will und stattdessen mit dem Anspruch der höheren Moral an einem Weg festhält, der sich hundertmal als falsch erwiesen hat, betätigt sich als Blutspender für die AfD
Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.
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