Neuer Wein aus den sieben Bergen
Von Gisbert Kuhn

Es hat in der Vergangenheit gewiss nicht allzu viele Zeitgenossen gegeben, die das hohe Lied vom Wein gesungen haben, der an den Hängen des Siebengebirges gelesen wurde. Eher schon war die Zahl jener Lästermäuler beträchtlich, die von dem „direkt auf Flaschen gezogenen Essig“ zu erzählen wussten. Tempi passati, die Zeiten sind vorbei. Was heute am Fuße des von Sagen umwobenen Drachenfels oder im idyllischen Weinörtchen Oberdollendorf die Gläser der Gäste füllt, mag vielleicht noch immer nicht durchgehend die Gaumen verwöhnter Profi-Verkoster entzücken. Aber es sind, sogar mit Preisen gekrönt, unter den (um sie rheinisch zu benennen) „Stöffchen“ wirklich nicht wenige, die sich durchaus der Konkurrenz von der einen oder anderen bekannten „Lage“ in Deutschland stellen können.
Das hängt wahrscheinlich auch hier, in diesem doch ziemlich weit nördlich liegenden deutschen Anbaugebiet, einerseits mit der spürbar erhöhten Durchschnittstemperatur zusammem, aber auch mit dem Generationswechsel in den Winzerbetrieben. Nicht nur, dass – wie praktisch überall in den deutschen Weinlanden – die Jungen frischen Wind, neue Ideen und eine gute Ausbildung eingebracht haben. Ab und zu fühlen sich zudem auch „Außenseiter“ von diesem Traditionsgewerbe kulinarischer Kultur angezogen. So wie zum Beispiel Kay Thiel. Ein Quereinsteiger und Autodidakt, wie er sich selbst nennt. Ein Weinbauer im Nebenerwerb, wie ihn wahrscheinlich die Profis bezeichnen würden. Mit Sicherheit aber kein Möchtegern-Aufsteiger in einer Branche, die sich – zum Glück – mehrheitlich noch immer als Träger und Bewahrer einer Jahrtausende alten Trinkkultur versteht.
Nicht alltäglicher Werdegang
Tatsächlich umfasst die von Thiel zurzeit bearbeitete Fläche am Anstieg zum Siebengebirge gerade einmal einen Hektar. Doch dieser Landwinzling befüllt immerhin 6000 Flaschen mit dem vergorenen Saft von fünf verschiedenen Rebsorten – drei weißen und zwei roten. Ein weiteres Areal von etwa gleicher Größe wird vermutlich im kommenden Jahr dazu kommen – vorausgesetzt, die widerspenstigen, dornigen Brombeersträucher und Wurzelreste dort sind bis dahin beseitigt. Kay Thiel kommt nicht aus dem Weinbau. Der heute fast 59-jährige gebürtige Kölner hatte ursprünglich ganz anderes im Sinn, nämlich den Umgang mit Sprache und Darstellung. Oder – simpler ausgedrückt – erst einmal Germanistik und Theaterwissenschaften studiert. Am Kölner Schauspielhaus arbeitete er als Regie-Assistent und betrat in Nürnberg und Kassel auch selbst die sprichwörtlichen Bretter, die so vielen Mimen die Welt bedeuten.

Aber so voll scheint Thiel vielleicht doch nicht davon überzeugt gewesen zu sein, einmal als einer der ganz Großen von den Bühnen der Welt die Massen zu begeistern. Vielleicht bremste auch eine zu breite Vielfalt der Interessen das endgültige Durchstarten in die Kulissen des Theaters – jedenfalls sagte er an der Wende zu den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts den Göttinnen der darstellenden Künste Lebewohl und wandte sich der Computerei zu. Offenkundig mit Erfolg und jetzt mit der angenehmen Möglichkeit, diese Beschäftigung einerseits „mit leichter Hand“ (O-Ton Thiel) weiterzuführen, zum anderen aber sich jenen Traum zu erfüllen, dem er bereits seit vielen Jahren nachhing: Weinbau. Diese viele Jahrtausende alte Fähigkeit interessierte Kay Thiel nicht nur schon lange, mit einem Bonner Freund zusammen hatte er in Klüsserath an der Mosel auch („für alle Fälle“) bereits einen Wingert gekauft und beim Winzer Bernhard Kirsten ausgiebigen Nachhilfe-Unterricht genommen.
Auf eigener Scholle
Wenn Kay Thiel in seinem Dollendorfer Haus von diesem Werdegang berichtet, ist es nicht nur interessant zuzuhören – es macht, vielmehr, richtig Spaß. Das liegt, möglicherweise, auch ein wenig am Ambiente. Das Gebäude stammt von 1927; der letzte Küfer (Fassmacher) im Dorf hatte es errichtet. An der Wand im Wohn-(?), Ess-(?), Besucher-(?), Probierzimmer (?) hängt ein modernes Gemälde, im Nebenraum stehen und stapeln sich in einem Regal bis an die Decke Bücher. Darunter nicht wenige, die schon vor rund 250 Jahren gedruckt und gebunden wurden. Ja, denkt sich der Besucher, in solchen Räumen fügt sich zu einer passenden und harmonischen Einheit zusammen: Literatur, bildende Kunst, anregende Gespräche, der Klang von Gläsern beim Zuprosten mit – natürlich gutem Wein.
Der ehrgeizige Neuwinzer war vor ein paar Jahren bei einem Spaziergang mit seiner Frau auf diesen Ort gestoßen, der zur Erfüllung eines Lebenstraumes führte. Um zum Weinberg des Herrn zu gelangen, muss man ein paar Minuten fahren. Bis zum Niederdollendorfer Heisterberg, nämlich, am Fuße des die mittelrheinische Landschaft bestimmenden Siebengebirges. Hier hat der Weinbau eine uralte Tradition, und hier liegt auch das einen Hektar umfassende Landstückchen mit dem Namen Pfaffenröttchen. 1329 taucht dieser Name erstmals in den Annalen auf. Die „Pfaffen“, die den Flecken rodeten („röttchen“ ) kamen aus dem nahe gelegenen einstigen Zisterzienserkloster Heisterbach. Ein Wanderparadies – nicht zuletzt im Herbst, wenn sich, zusätzlich zu den Wäldern auch die Weinblätter goldgelb bis dunkelrot färben.
Dem Öko-Weinbau verschrieben

Thiel hat sich und die Aufzucht seiner Weine dem Ökoweinbau verschrieben. Das heißt, seine fünf Weinsorten (Frühburgunder, Spätburgunder, Riesling, Elbling und Malinger) bekommen als Düngung ausschließlich erlaubte Naturprodukte wie Hornmehl und Rapstrester. Zwischen den Rebzeilen wachen viele seltene Kräuter und Pflanzen; ein Paradies vor allem im Frühjahr und Sommer für Schmetterlinge und Bienen. Allerdings darf dieses „Grünzeug“ nicht zu hoch wachsen, um keine „Nahrungskonkurrenz“ zu den Reben darzustellen. Chemische Unkrautvernichter kommen freilich hier nicht zum Einsatz.
Eigene Verarbeitungsanlagen hat Kay Thiel nicht. Wie sollten sich in einem derart kleinen Betrieb solche großen Investitionen auch lohnen? Wieder ist ein Freund zur Stelle. Nur ein paar Kilometer entfernt, in Königswinter-Rhöndorf, besitzt Felix Pieper ein Weingut praktisch direkt unterhalb der viel besuchten Burgruine Drachenfels. Bei ihm kann Thiel nicht nur keltern. An dem auch „wein-akademisch“ in Geisenheim ausgebildeten Pieper hat Thiel zugleich einen „weinbautechnischen“ Mentor gefunden. In dessen Keller arbeitet der Weinbau-Kleinunternehmer im Bereich der Weißweine mit Edelstahltanks, bei den „Roten“ hingegen ausschließlich mit Eichenholzfässern. Den Zusatz von Hefe gibt es meistens nicht. Zum Gären müssen die im Weinberg und auf den Trauben befindlichen „natürlichen“ Hefen ausreichen. So wird, übrigens, auch koscherer Wein gemacht. Ein solcher Gär-Vorgang, sagt Kay Thiel, sei „oftmals ein großes Abenteuer“, weil sich der Gär-Verlauf „nicht immer linear“ verhalte. Will sagen: „Manchmal startet der Gärprozess gar nicht, manchmal hingegen ganz abrupt, und gelegentlich verströmt der werdende Wen „eigentümliche Gerüche“.
Wenn Kay Thiel dies und vieles anderes erzählt, strahlt sein Gesicht. Klar, hier hat jemand die Erfüllung seiner Wünsche und Träume gefunden. Und, nicht zu vergessen, auch schon Lob und Preise eingefahren. Zum Beispiel einen Stern im Vinum Wineguide.
Kontakt:
KAY WEINE
Inh.:
Kay Markus Thiel
Bergstraße 45
53639 Oberdollendorf
Tel.: 0171 4173 317
e-mail: hallo@kay-weine.de
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