Dieter Weirich ©seppspiegl

Die Kanzlerschaft des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt begann 1969 mit dem Versprechen, “mehr Demokratie zu wagen“. Eine knappe Woche vor der ersten Sitzung des 21.Deutschen Bundestages am kommenden Dienstag (25.März) kommen wir über ein halbes Jahrhundert später um die Erkenntnis nicht herum, dass das aktuell gültige, 2023 von der Ampel-Koalition verabschiedete Wahlrecht mit einem Weniger an Demokratie verbunden ist.

Der neue Bundestag sollte deshalb rasch ein Gesetz beschließen, das die Begrenzung des Parlaments auf 630 Mandate zwar beibehält, aber der Erststimme der Bürger wieder mehr Gewicht verschafft. Der direkt gewählte Abgeordnete sollte ein Comeback feiern.

Mit dem jetzigen Wahlrecht wurde die Zweitstimme zum entscheidenden Parameter. Die Gewinner von Wahlkreisen in den Ländern konnten nicht mehr sicher sein, in die Volksvertretung einzuziehen. Die Zahl der gewonnenen Direktmandate ihrer Partei spielte in der Berechnung ebenso eine Rolle wie der Abstand zu den Mitbewerbern. Ein fragwürdiges „Wahl-Roulette“.

23 Wahlkreis-Sieger, die in die Röhre schauen, Städte wie Darmstadt und Tübingen künftig ganz ohne Volksvertreter, die Christdemokraten in Frankfurt mit zwei Wahlgewinnern, aber ohne Fahrkarte nach Berlin und erste Überlegungen in benachteiligten Regionen wie Südhessen, eigene Büros in der Hauptstadt zur Vertretung ihrer Interessen zu etablieren, das ist die Folge dieses für die Bürger so schwer verständlichen Urnengangs.

Verständlich, dass der Wahlabend in Augsburg mit einem Eklat verbunden war. Der mit den meisten Erststimmen gewählte CSU-Mann Volker Ullrich lehnte den Glückwunsch seiner Konkurrentin Claudia Roth als zynisch ab, da sie an dem undemokratischen Gesetz mitgewirkt hatte.

Ein neues Wahlrecht sollte Elemente der direkten Demokratie stärken, den Graben zwischen dem Verfassungsorgan Bundestag und dem Bürger nicht vertiefen. Direkt gewählte Abgeordnete sind unabhängiger und damit auch selbstbewusster. Wer die Verhältniswahl über Gebühr stärkt, fördert die oft mit Diszplinierung verbundene „Hinterzimmer-Demokratie“.

Die neue Koalition sollte das sofort regeln, besonders die designierte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner steht hier in der Pflicht.

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