Kristine Bilkau – Halbinsel
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Kristine Bilkau – Halbinsel

Die Preisträgerin der Leipziger Buchmesse in der Sparte Belletristik hat einen Roman geschrieben, in dem sie die Beziehungen einer Mutter zu ihrer Tochter mit dem Thema Klimakrise verknüpft. Auf der psychologischen Ebene spielen Entfremdung zwischen den Generationen, Verdrängung und Perspektivlosigkeit der Jugend eine Rolle. Nach dem plötzlichen, traumatischen Tod ihres Mannes, der 22 Jahre zurückliegt, hat sich Annett selbst isoliert. Was erst idyllisch schien, die Lage ihres Hauses auf einer Halbinsel im Wattenmeer Nordfrieslands, fördert die Einsamkeit. Mutter und Tochter haben beispielsweise nie an einer Wattwanderung teilgenommen. Tragende Freundschaften haben sich nicht gebildet.
Obwohl sie als alleinerziehende Mutter ein besonderes Verhältnis zu ihrer Tochter haben müsste, kennen sich die beiden Frauen kaum. Annett ist Bibliothekarin. Sie besprach mit ihrer Tochter keine Probleme, auch nicht über Sorgen, wenig über Interessen und schon gar nicht über den Vater. Tochter Linn arbeitet seit Kurzem bei einer Beratungsfirma für Klimaschutz in Berlin. Bei einem Vortrag in einem Tagungshotel erleidet sie einen Schwächeanfall und zur Erholung zieht sie bei ihrer Mutter vorübergehend wieder ein.
Nun beginnt ein Eiertanz der Mutter, einerseits aus Angst vor Zurückweisung und andererseits weil sie befürchtet, mit Fragen ihre Tochter in die Enge zu treiben. Linn ist antriebslos, redet kaum ein Wort. Ihr Studium der Umweltökonomie konnte die Mutter nur durch sparsames Wirtschaften finanzieren, was an der Tochter völlig vorbeigegangen ist. Als Linn überraschend einen Job beim Bäcker annimmt, fragt sich Annett, wofür sie eigentlich jahrelang auf vieles verzichtete, nur um ihr das Studium zu bezahlen. Die Starre beider Frauen fällt auf, denn Annett selbst träumt sich in andere Jobs und Umzüge ohne je Initiative zu ergreifen. Der Leser hat den Eindruck, dass die Frau seit dem Tod ihres Mannes nur auf Sparflamme funktionierte.
Anstatt endlich mal zu fragen, was bei der Tagung wirklich passiert ist, recherchiert die Mutter hinter dem Rücken der Tochter in dem Hotel. Was hat es mit dem Schwächeanfall auf sich? Was für einen Vortrag sollte die Tochter halten? Wie stand der Arbeitgeber dazu? Erst langsam entwickelt sich ein Gespräch.
Die aufkeimende Unruhe, als Linn die Hinterlassenschaften ihres Vaters aus dem Keller holt und lange unterdrückte Fragen stellt. schildert die Autorin knapp zwar in nachvollziehbarer Form, ohne jedoch allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Am Ende wird die Sinnkrise der Tochter verständlich. Der Spannungsbogen ist jedoch flach, Entscheidendes wird nur angerissen. Manchmal will man die Beteiligten schütteln, um etwas in Gang zu bringen. Das Wort Depression vermeidet die Autorin und stellt lieber die Altersfrage. Das führt aber den Leser etwas in die Irre, denn streckenweise klingen die Gedanken der Ich-Erzählerin wie von einer 70-Jährigen, umso erstaunlicher die Erkenntnis, dass Annett erst 49 ist!
Kristine Bilkau, 1974 geboren, zählt zu den wichtigen Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur. Sie studierte Geschichte und Amerikanistik in Hamburg und New Orleans. Bereits ihr Romandebüt »Die Glücklichen« fand ein begeistertes Medienecho, wurde mit dem Franz-Tumler-Preis, dem Klaus-Michael-Kühne-Preis und dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Mit »Nebenan« stand sie auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ihr neuer Roman »Halbinsel« wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2025 ausgezeichnet. Kristine Bilkau lebt mit ihrer Familie in Hamburg.
Ausgabe: Hardcover, mit Schutzumschlag
224 Seiten, 13,5×21,5cm
Erschienen am: 19.03.2025
ISBN: 978-3-630-87730-3
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
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