Was wäre die Welt ohne klinische Forschung? Es gäbe keinen medizinischen Fortschritt. Denn das Ziel von Arzneimittel- und Impfstoffstudien ist es, neue Möglichkeiten der Behandlung und Prävention für Patienten zu entwickeln. Das Fachblatt Nature Medicine hat 11 führende Forscher befragt, welche klinischen Studien im Jahr 2024 in ihren Augen besonders wichtig sind. Sie zeigen, wie sehr sich die Medizin in Zukunft verändern könnte – zum Besseren.

Der Early Formulation Screening Service von Merck liefert Herstellern von Impfstoffen und Therapeutika maßgeschneiderte Lipid-Nanopartikel fuer wirkungsvolle mRNA-Anwendungen: Zwei Mitarbeiterinnen betrachten eine gefriergetrocknete Probe. ©seppspiegl

Die pharmazeutische Industrie arbeitet an einer Vielzahl an Studien – im Kampf gegen ganz unterschiedliche Krankheiten. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) geht davon aus, dass 2024 rund 40 neue Medikamente zur Markteinführung in EU-Ländern in Betracht kommen: Da eingerechnet sind nur diejenigen Präparate, die bereits kürzlich eine Zulassung erhalten haben oder zumindest im Zulassungsverfahren sind – die klinischen Studienphasen I bis III haben sie also bereits hinter sich gebracht. Die Liste der klinischen Studien, die Nature Medicine mithilfe 11 Forschender zusammengetragen hat, ist daher sicherlich subjektiv und bietet nur einen kleinen Ausschnitt – und doch erlaubt sie einen Blick in die Zukunft: eine Zukunft, in der schwere Krankheiten hoffentlich noch besser, noch innovativer als bisher behandelt werden können.

Wäre es nicht toll, wenn sich zum Beispiel die Diagnose von Lungenkrebs mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) beschleunigen ließe? Pneumologe David Baldwin (Nottingham, UK) sagt: „Lungenkrebs früh zu diagnostizieren rettet Leben. Doch fast 3/4 aller Fälle werden spät erkannt, im Stadium 3 oder 4 – eine frühere Diagnose würde eine bessere und effektivere Behandlung ermöglichen.“ Viel Zeit geht oft schon mit Warten verloren: Warten auf einen Termin für eine Thorax-Röntgenaufnahme, warten auf die Auswertung, warten auf die Ergebnisse – ggf. warten auf einen Termin für eine Computertomographie (CT) zur weiteren Abklärung. Für die Patienten ist das psychisch belastend – doch die menschlichen Ressourcen sind nun mal begrenzt. In einer Studie mit 150.000 Patienten in 6 Krankenhäusern im Vereinigten Königreich soll daher nun geprüft werden, inwieweit der Einsatz von KI helfen kann. Ein KI-Modell könnte bei der Analyse der Röntgenaufnahmen hinzugezogen werden und direkt selektieren, welche Befunde auffällig sind bzw. für welche Patienten es besonders wichtig wäre noch am selben Tag eine CT zu bekommen. „Unsere Hypothese ist, dass wir so Lungenkrebs früher erkennen und die Zeit bis zur Diagnose um bis zu 50 Prozent reduzieren können“, so Baldwin.

Impfstoff gegen HIV? Stammzelltherapie gegen Parkinson?

Seit rund 4 Jahrzehnten arbeiten Wissenschaftler weltweit daran, dem Immunschwächevirus Schritt für Schritt seinen Schrecken zu nehmen. Erreicht wurde so einiges: Statt Todesurteil kann HIV heute chronische Erkrankung sein. Rechtzeitig und gut behandelt ist es möglich, damit alt zu werden – und selbst beim Geschlechtsverkehr besteht dann keine Ansteckungsgefahr mehr. Doch was es auch 40 Jahre nach Entdeckung des HI-Virus noch immer nicht gibt: einen Impfstoff zur Prävention. Aufgeben kommt in der Forschung aber nicht in Frage. Ein aktueller Ansatz: ein sogenannter Vektorimpfstoff, der bestimmte Immunzellen des Körpers aktivieren soll. Doch es ist noch ein weiter Weg – der Kandidat befindet sich erst in einer Phase-I-Studie. Das Potenzial eines Impfstoffes für die öffentliche Gesundheit ist riesig: Schließlich stecken sich jedes Jahr weltweit 1,3 Millionen Menschen neu mit HIV an.

Der Early Formulation Screening Service von Merck liefert Herstellern von Impfstoffen und Therapeutika maßgeschneiderte Lipid-Nanopartikel für wirkungsvolle mRNA-Anwendungen: Eine Mitarbeiterin pipettiert Zellkulturmedium unter der Sicherheitswerkbank. ©seppspiegl

Hoffnung gibt es auch in Bezug auf Morbus Parkinson – auf dem Globus sind Schätzungen zu folge zwischen 7 Millionen und 10 Millionen Menschen betroffen. In alternden Gesellschaften wird die Zahl der Fälle wohl weiter steigen – mit zunehmenden Lebensjahren erhöht sich das Risiko für die neurodegenerative Erkrankung. In Entwicklung ist unter anderem eine neuartige Stammzelltherapie: Aus menschlichen, embryonalen Stammzellen sollen bestimmte Nervenzellen gezüchtet werden, um sie ins Gehirn von Parkinson-Betroffenen zu transplantieren – wo sie die Zellen, die im Zuge der Erkrankung bereits abgestorben sind, ersetzen. Soweit der Plan: Die Phase-I-Studie richtet sich an 50- bis 75-Jährige, die an „moderaten“ Parkinson leiden. Vorläufige Ergebnisse werden Ende des Jahres erwartet.

Onkologie im Fokus der Forschung

Auch 2024 wird ein Fokus der Forschung auf Krebs liegen – es ist schließlich noch immer die zweithäufigste Todesursache weltweit. Gearbeitet wird unter anderem an neuen Möglichkeiten der Immunonkologie: 13 Jahre sind seit der Einführung eines ersten Vertreters der Immunonkologika vergangen. Inzwischen sind diese Arzneimittel – die nicht direkt die Krebszellen angreifen, sondern dem körpereigenen Immunsystem helfen, selbst aktiv zu werden – aus der Therapie von immer mehr Tumorarten nicht mehr wegzudenken. Große Fortschritte konnten etwa beim schwarzen Melanom erzielt werden (s. Pharma Fakten). Es gibt berechtigte Hoffnung, dass irgendwann eine Heilung auch für Menschen mit fortgeschrittenem Hautkrebs möglich ist: Dazu gilt es, neue Behandlungsansätze zu entwickeln und verfügbare Optionen wie die der Immunonkologie zu optimieren – etwa indem verstärkt mehrere Wirkstoffe in Kombination zum Einsatz kommen. Studien laufen.

Das Qualitaetskontrolllabor fuer hochreine Loesungsmittel bei Merck ueberprueft die Qualitaet der Loesungsmittel fuer die Anwendung in Forschungslaboren oder der Pharmaindustrie: Gas-Chromatograph fuer die Reinheitsbestimmung der Lösungsmittel. ©seppspiegl

Neben der Immunonkologie spielen zielgerichtete Medikamente eine immer größere Rolle: Darunter sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) – sie binden spezifisch an bestimmte Strukturen auf Krebszellen und schleusen so einen Wirkstoff in eben diese Krebszellen ein, um ihn dort ganz gezielt freizulassen. Unter anderem läuft noch bis Februar 2024 eine Phase-III-Studie, die den Einsatz eines ADCs bei Menschen mit fortgeschrittenem HER2-positiven Brustkrebs untersucht – darunter sind Frauen, bei denen bereits Hirnmetastasen entstanden sind. „Meine Hoffnung ist, dass solche Studien dazu beitragen, dass Patienten mit Hirnmetastasen verstärkt in klinischen Prüfungen berücksichtigt werden“, sagt Onkologin Nancy Lin (MA, USA).

Forschung schafft Fortschritt

2024 wird spannend. Eine Therapie per App für Mütter mit Depressionen rund um die Geburt herum? Wird untersucht. Künstliche Intelligenz zur Unterstützung in der Notaufnahme? Vielleicht bald keine Zukunftsmusik mehr. mRNA-Impfstoffe sind Gegenstand der Forschung bei immer mehr Erkrankungen. Und auf dem Vormarsch sind auch Gentherapien – etwa per „Genschere“ CRISPR/Cas. Erfolgsgarantie? Die gibt es in der Forschung nicht. Doch ohne Forschung gibt es keinen medizinischen Fortschritt – das jedenfalls ist garantiert.

Quelle: https://pharma-fakten.de

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