In der Warteschleife

Die Regierungsbildung in Tschechien ist eine Hängepartie. Wahlverlierer Babiš könnte am Ende doch noch zum Gewinner werden.

Die Wahlsieger der tschechischen Parlamentswahl, die Oppositionswahlbündnisse SPOLU und PIRATEN/STAN, haben mit ersten Koalitionsgesprächen begonnen. Gemeinsam verfügen sie über 108 von 200 Sitzen im Parlament. Ihre Spitzenkandidaten – Petr Fiala und Ivan Bartoš – hatten im Wahlkampf eine Zusammenarbeit mit dem amtierenden Ministerpräsident Andrej Babiš kategorisch ausgeschlossen, dessen rechtspopulistische Partei ANO mit nur 27,1 Prozent knapp auf dem zweiten Platz landete. Vor diesem Hintergrund könnte man annehmen, dass die Bildung einer neuen Regierung in Prag relativ schnell gelingen könnte, zumal beide Bündnisse sich inhaltlich bei vielen Themen einig sind. Allerdings darf man die Rechnung nicht vorschnell ohne den Staatspräsidenten Miloš Zeman machen. In Tschechien kommt dem Präsidenten nämlich im Unterschied beispielsweise zu Deutschland bei Wahlen eine wichtige Rolle zu: Er erteilt den förmlichen Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung.

Präsident Zeman will nur Babiš als neuen Ministerpräsidenten akzeptieren.

Andrej Babiš © Lucie Bartoš-wikipedia

Und spätestens hier wird es interessant. Denn Zeman hat mehrfach öffentlich angekündigt, dass er einzig und allein Babiš als neuen Ministerpräsidenten akzeptieren und ihn mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Begründet hat er dies unter anderem damit, dass er dem Kandidaten der stärksten Einzelpartei das Mandat erteilen werde. Dieses Argument ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Rein rechnerisch hat ANO als Einzelpartei die meisten Stimmen erreicht, denn das Wahlbündnis SPOLU besteht aus drei Parteien, und der mögliche Koalitionspartner setzt sich aus zwei Parteien zusammen. Dessen ungeachtet ist es in Tschechien ein offenes Geheimnis, dass Staatspräsident Zeman hier seine eigene politische Agenda verfolgt und dass die besondere Beziehung, die er schon seit längerem zu Babiš pflegt, die Entscheidung über den nächsten tschechischen Premierminister wesentlich beeinflussen wird.

Als wäre die Lage dadurch nicht schon kompliziert genug, kommt nun noch der Gesundheitszustand des Präsidenten hinzu. Der 77jährige wird in einer Klinik intensivmedizinisch behandelt. Fraglich ist daher, ob er in absehbarer Zeit überhaupt in der Lage sein wird, seinen Amtsgeschäften nachzukommen. Sollte der Präsident ausfallen, so würden seine Kompetenzen an den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses gehen.

Was bedeutet der Ausgang der Wahlen für die tschechische Gesellschaft? Der politische Diskurs hat sich eindeutig weiter nach rechts verschoben. Im Wahlkampf hatte zuletzt ein recht aggressiver Ton in der Auseinandersetzung geherrscht. Inhalte waren eher Mangelware, und wenn über Themen gesprochen wurde, waren diese eher negativ konnotiert. So warnte Babiš z.B. immer wieder vor einer angeblich drohenden illegalen Migration nach Tschechien und inszenierte sich als Beschützer der tschechischen Interessen gegenüber Europa: „Gegen das Brüsseler Klimadiktat“.

Der politische Diskurs hat sich eindeutig weiter nach rechts verschoben.

Die Rechtsaußenpartei „Freiheit und direkte Demokratie“ hat mit 9,6 Prozent Stimmenanteil als vierte Kraft den Sprung ins Parlament geschafft, während die PIRATEN, die lange als aufstrebende und progressive Kraft galten, herbe Verluste einstecken mussten. Nach 22 Mandaten bei der Wahl 2017 konnten sie gerade einmal noch vier Mandate gewinnen.

Die bislang mitregierende sozialdemokratische ČSSD und die Kommunisten scheiterten mit 4,6 Prozent bzw. 3,6 Prozent sogar an der Fünf-Prozenthürde. Für beide Parteien kommt dies einer historischen Zäsur gleich, denn zum ersten Mal seit Bestehen der Tschechischen Republik sind sie nicht mehr im Parlament vertreten. Damit ist keine linke Partei mehr Mitglied im tschechischen Parlament. Der Parteivorsitzende der ČSSD und bisherige Innenminister, Jan Hamáček, hat als Reaktion auf das Wahldebakel bereits seinen Rücktritt angekündigt, die gesamte Führung der Kommunistischen Partei trat bereits am Wochenende zurück. Eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung ist damit für beide Parteien unumgänglich geworden.

Zum ersten Mal seit Bestehen der Tschechischen Republik sind die sozialdemokratische ČSSD und die Kommunisten nicht mehr im Parlament vertreten.

Die besten Aussichten auf das Amt des Premiers hat derzeit der Spitzenkandidat der SPOLU, Petr Fiala. Das konservative Oppositionswahlbündnis aus ODS (Bürgerdemokraten), KDU-ČSL (Christdemokraten) und TOP 09 (Konservativen) hatte 27,8 Prozent der Stimmen gewonnen. Eine Regierung aus den fünf Parteien der beiden Bündnisse SPOLU und PIRATEN/STAN würde in wirtschaftlichen Fragen vermutlich einen sehr stark neoliberalen Kurs einschlagen. So könnten z.B. weitere Privatisierungen und weiterer Stellenabbau in der öffentlichen Verwaltung drohen. Insbesondere die ODS hat sich im Wahlkampf klar zum Schuldenabbau der öffentlichen Haushalte bekannt, aber gleichzeitig Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen.

Interessant wäre, wie sich die PIRATEN, die noch am ehesten als progressiv und in Ansätzen links gelten können, in einer solchen Koalition verhalten würden. Vor dem Hintergrund, dass sich die sozialen Gegensätze in Tschechien in den vergangenen Jahren weiter verschärft haben, könnte unter einer Fünf-Parteien-Regierung, die den Einfluss des Staates weiter zurückdrängen möchte, eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft drohen. Zudem sind ungefähr eine Million Bürger nicht im Parlament repräsentiert, weil ihre Stimmen an Parteien gegangen sind, die an der Fünf-Prozenthürde gescheitert sind.   

Sollte Zeman allerding Babiš mit der Regierungsbildung beauftragen, könnten die Verhandlungen noch weitaus schwieriger werden. Denkbar wäre dann auch die Variante, dass Babiš zugunsten einer anderen ANO-Führungsperson – genannt wird hier immer wieder die bisherige Finanzministerin Alena Schillerová – auf das Amt des Premiers verzichten könnte. Dies könnte dann doch Koalitionsverhandlungen mit SPOLU ermöglichen, und Babiš wiederum könnte versuchen, im nächsten Jahr Staatspräsident zu werden. Ambitionen auf dieses Amt werden ihm schon länger nachgesagt. Miloš Zeman wird sich nicht erneut bewerben können, weil er schon einmal wiedergewählt worden ist. In jedem Fall wird es in Tschechien in den kommenden Tagen und Wochen entscheidend auf die Person und das Amt des Staatspräsidenten ankommen.

Urban Überschär leitet seit 2020 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag. Zuvor war er Büroleiter des FES-Landesbüros in Niedersachsen.

- ANZEIGE -

Related Posts

Legenden: Thomas Jefferson

Legenden: Thomas Jefferson

Politik: Despotendämmerung

Politik: Despotendämmerung

Politisches Beben in Afrika

Politisches Beben in Afrika

No Comments Yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert