von Sepp Spiegl

Das Kolumbus-Haus und der Kreuzgang Sant’Andrea

Casa di Colombo ©seppspiegl

Genua – Wer durch das mittelalterliche Genua wandert und plötzlich vor dem schlichten zweistöckigen Steinbau nahe der Porta Soprana steht, kann kaum ahnen, dass hier ein Kind lebte, das später Weltgeschichte schreiben sollte. Das sogenannte „Casa di Colombo“, das mutmaßliche Elternhaus von Christoph Kolumbus, ist heute eine der meistbesuchten historischen Stätten der Stadt – und gewährt eindrucksvolle Einblicke in das Alltagsleben des 15. Jahrhunderts.

Werkstatt im Erdgeschoss, Wohnraum darüber

Der berühmte militärische Codizil des Christoph Kolumbus, sein Testamentsnachtrag aus dem Jahr 1506: wenige Tage vor seinem Tod fertigte der bedeutende Entdecker Amerikas dieses persönliche Schreiben auf der leeren Seite eines kostbar gestalteten Stundenbüchleins, das er von Papst Alexander VI. als Geschenk erhalten hatte. ©seppspiegl

Die schmale Eingangstür führt in einen kühlen, halbdunklen Raum: Hier soll Domenico Kolumbus, Vater des berühmten Seefahrers, seiner Tätigkeit als Wollweber und Händler nachgegangen sein. Besucher können rekonstruierte Werkzeuge zur Wollverarbeitung betrachten – Spindeln, Spulen, Gewichte – und sich ein Bild davon machen, wie eng Handwerk und Wohnen damals miteinander verknüpft waren. Eine enge Holztreppe führt in das Obergeschoss. Dort liegt die bescheidene Wohnstube der Familie: Ein schlichter Holztisch, grobe Tonkrüge, eine einfache Holzbank und ein symbolisches Kinderbett erzählen vom spartanischen Lebensstil einer Handwerkerfamilie des spätmittelalterlichen Genua. An den Wänden finden sich erklärende Tafeln zu Kolumbus’ Jugend und Familie – zweisprachig, auf Italienisch und Englisch.

Lernen zwischen Legende und Wirklichkeit

Marmorrelief der Karavelle Santa Maria, Geschenk von Hauptmann D’Albertis 1892 ©seppspiegl

Doch das Haus will mehr sein als nur eine museale Nachbildung. Es versucht auch, Mythen zu entzaubern. Infotafeln stellen klar: Dieses Haus war wohl Kolumbus’ Jugendwohnung, aber nicht sein Geburtsort. Dort, in der Gegend der Olivella, existieren keine erhaltenen Spuren mehr. Im Kolumbus-Haus aber will man Geschichte begreifbar machen – wortwörtlich: durch den Stein unter den Füßen, die Enge der Räume, das karge Licht. Multimediale Elemente ergänzen die Ausstellung. So können Besucher Kolumbus’ berühmte Atlantikfahrten auf einer digitalen Karte verfolgen oder sich über sein Weltbild informieren – und darüber, wie sehr seine Annahmen über den Erdumfang später korrigiert wurden. Auch Reproduktionen von Briefen, alten Karten und Chroniken sind ausgestellt.

Ort der Erinnerung, nicht der Verklärung

Die größte Stärke des Kolumbus-Hauses ist seine Atmosphäre. Es erhebt keinen Anspruch auf Prunk oder Perfektion, sondern versucht, einen Eindruck zu vermitteln: So könnte es gewesen sein. Kolumbus war kein Fürstensohn, kein gelehrter Navigator – sondern der Sohn eines einfachen Wollhändlers in einer lebendigen, manchmal rauen Hafenstadt. Genau das zeigt das Haus eindrucksvoll. Wer nach dem Besuch die schmale Gasse verlässt, findet sich inmitten eines faszinierenden historischen Ensembles wieder: Direkt gegenüber liegt der romanische Kreuzgang Sant’Andrea, dahinter ragt die Porta Soprana in den Himmel – das mittelalterliche Stadttor, durch das Kolumbus einst vielleicht selbst zum Hafen gegangen ist.

Tipp für Besucher:

  • Casa di Colombo, Via di Porta Soprana 1, Genua

  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10–18 Uhr (Montag geschlossen)

  • Eintritt: ca. 3 €, ermäßigt für Kinder und Gruppen

  • Kombinierbar mit Besuch der Porta Soprana und des Kreuzgangs Sant’Andrea (direkt gegenüber)

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Der Kreuzgang Sant’Andrea in Genua: Ein gerettetes Juwel romanischer Baukunst

Ein fast vergessenes Meisterwerk spiritueller Architektur am Rande der Altstadt

Der Kreuzgang von Sant’Andrea. Dieser schöne Bogengang ist der Überrest eines aus dem Mittelalter stammenden Klosters ©seppspiegl

Versteckt zwischen engen Gassen, Stadtmauerresten und dem legendären Kolumbus-Haus entfaltet sich ein stiller Ort der Schönheit und Kontemplation: der Kreuzgang von Sant’Andrea. Wer ihn durchquert, hört plötzlich das Schweigen der Jahrhunderte – und steht unvermittelt vor einem der ältesten und kunstvollsten Relikte romanischer Sakralarchitektur in Ligurien.

Ursprünge im Hochmittelalter

Der Kreuzgang von Sant’Andrea mit geschnitzten Säulen und Bögen, mit religiösen als auch pflanzliche und tierische Motive. ©seppspiegl

Der Kreuzgang gehörte einst zum Benediktinerkloster Sant’Andrea, das im 11. Jahrhundert am östlichen Rand der Altstadt gegründet wurde – nahe der damaligen Stadtmauer und dem Haupttor Porta Soprana. Das Kloster war über Jahrhunderte hinweg ein spirituelles Zentrum, eng mit dem Aufstieg Genuas als See- und Handelshochmacht verbunden. Mönche lebten hier nach der Regel des heiligen Benedikt, widmeten sich dem Gebet, der Landwirtschaft, dem Schreiben und dem Dienst an Kranken. Der Kreuzgang selbst wurde vermutlich im späten 12. oder frühen 13. Jahrhundert errichtet – in der Übergangszeit von der Romanik zur Gotik. Er diente den Mönchen als überdachter Meditationsgang und verband die verschiedenen Klostergebäude: Kirche, Refektorium, Schlafsäle.

Eine Wiederauferstehung Stein für Stein

Das ursprüngliche Kloster wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollständig abgerissen – Genua modernisierte sich, die Via Dante wurde durch das Gelände gezogen. Nur dank dem Einsatz von Historikern und Denkmalpflegern konnte der Kreuzgang gerettet werden. Im Jahr 1922 wurde er unter großem Aufwand an seinen heutigen Standort, direkt gegenüber dem Kolumbus-Haus, originalgetreu wieder aufgebaut – Stein für Stein.

Architektur aus Stein und Zeit

Der Kreuzgang von Sant’Andrea. Dieser schöne Bogengang ist der Überrest eines aus dem Mittelalter stammenden Klosters ©seppspiegl

Der Kreuzgang präsentiert sich heute als nahezu vollständiges Viereck aus weißem Kalkstein, teilweise mit Einschlüssen aus grauem Marmor – ein typischer Materialmix ligurischer Baukunst. Seine Eleganz liegt in der Schlichtheit: In zwei Geschossen umrahmen zarte Arkaden den zentralen Innenhof, getragen von doppelläufigen Säulen, deren Kapitelle mit erstaunlicher Detailfreude gearbeitet sind. Einige Kapitelle zeigen pflanzliche Ornamente, andere Szenen aus dem Alten Testament, Fabelwesen, Tiergestalten und Masken. Sie wirken fast wie Miniaturen in Stein, teils mit romanischer Strenge, teils mit einem Anflug verspielter Gotik. Eine Besonderheit sind die Spuren von Freskenresten, die auf einigen Säulen noch erkennbar sind – blasse Rottöne, florale Muster, möglicherweise Heiligendarstellungen. Sie deuten darauf hin, dass der Kreuzgang einst farbig ausgemalt war.

Ein Ort der Ruhe und Erinnerung

Die Porta Soprana, ehemaliges Stadttor, vom Kreuzgang S. Andrea aus gesehen ©seppspiegl

Heute ist der Kreuzgang frei zugänglich – ein seltener Luxus inmitten einer lebendigen Großstadt. Schülergruppen, Kunstinteressierte, Pilger oder einfach Spaziergänger verweilen hier unter den Bögen, bewundern die Säulen oder sitzen auf der niedrigen Mauer am Innenhof. Zwar fehlen die angrenzenden Klostergebäude, doch der Kreuzgang spricht für sich: als Denkmal mittelalterlicher Frömmigkeit, als handwerkliches Meisterwerk und als Symbol dafür, dass kulturelles Erbe durch Erinnerung bewahrt werden kann – auch nach Jahrhunderten, und sogar nach einem vollständigen Ortswechsel. Der Kreuzgang Sant’Andrea ist kein Museum. Er ist ein Ort. Und wer ihn betritt, verlässt für einen Moment das 21. Jahrhundert – und steht mitten im Genua des Mittelalters.

Besuch in die Vergangenheit

Wer heute das Ensemble besucht, taucht ein in eine vergangene Welt, in der Religion, Handel, Handwerk und Entdeckungsgeist ein dichtes Geflecht bildeten. Das kleine Museum im Kolumbus-Haus ist gegen geringe Eintrittsgebühr zu besichtigen, der Kreuzgang bleibt jederzeit kostenlos zugänglich. Inmitten einer modernen Stadt bietet dieses Areal nicht nur Touristen, sondern auch Einheimischen einen Ort der Erinnerung und Reflexion. Es erinnert daran, dass große Geschichten oft in kleinen Räumen beginnen – mit einem Kind aus einer einfachen Werkstatt, das einst die Welt umsegeln sollte.

Kreuzgang Sant’Andrea – auf einen Blick

  • Via di Porta Soprana, Genua

  • Erbaut: ca. 1180–1220

  • Material: Kalkstein mit Marmordetails

  • Ausstattung: Doppelarkaden, verzierte Kapitelle, Freskenreste

  • Wiederaufbau: 1922 nach Versetzung

  • Eintritt: frei, täglich geöffnet

Titelfoto: Das Casa di Colombo (re) und das Porta Soprana (li), ehemaliges Stadttor ©seppspiegl

 

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