Gisbert Kuhn

Von Gisbert Kuhn

Eine Schande – die korrupten „Aufklärer“

Kriege werden schon lange nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld entschieden. Sie werden vor allem „medial“ gewonnen oder verloren. Eigentlich weiß man das schon seit dem Ende des Vietnam-Krieges, der zwischen 1955 und 1975 tobte und dessen Verlauf  nicht zuletzt die Einstellung der jungen Menschen zum bis dahin zumeist vergötterten Amerika veränderte. Damals gab es nicht einmal andeutungsweise die technischen Möglichkeiten der Bild- und Text-Kommunikation, wie sie heutzutage existieren. Trotzdem wirkten schon seinerzeit die Bilder im Fernsehen und in den Wochenschauen der Kinos sowie die gedruckten Berichte so einschneidend auf das öffentliche Bewusstsein, dass der Krieg in Südostasien so ausging. Nämlich mit einer faktischen, auf alle Fälle aber moralischen Niederlage der Supermacht USA.

Eigentlich müsste sich jeder dieses Beispiel genau ansehen, der sich mit den aktuellen Krisen und Kriegen in der Welt beschäftigt. Oder besser noch – mit der Fülle der in den vergangenen Jahrzehnten in erster Linie von bloßer nationalistischer Machtpolitik und/oder religiösem Extremismus geleiteten Mordbrennereien. Es waren auch da immer die begleiteten Bilder, die eine bestimmte, nachhaltige Wirkung erzeugten. So löste – im Zuge der ersten großen Flüchtlingswelle aus dem Nahem Osten – das Foto eines einzelnen ertrunkenen Kleinkindes an der türkischen Küste nicht nur in Deutschland eine ungleich größere Erschütterung aus als es etwa die Bilder und Videos von den zeitgleichen, mörderischen Massenbombardements syrischer Städte, Schulen und Krankenhäuser durch Putins Luftwaffe taten.

Längst haben sich alle großen, größeren und auch nur mittleren Mächte in Ost und West, die auf dieser Erde irgendeinen Einfluss besitzen oder erringen möchten, intensiv auf das Phänomen Massenbeeinflussung ohne Bomben und Granaten eingestellt. Natürlich auch ganz aktuell beim Versuch der israelischen Armee, im Gaza-Streifen eine angemessene Antwort auf das unfassbare Massaker der palästinensischen Hamas-Organisation vom 7. Oktober mit ihren mehr als 1000-fachen Morden und Vergewaltigungen sowie der 200-fachen Geiselnahme zu geben. Mehr als einem Monat später ist es so gekommen, wie es an sich von Anfang an zu erwarten war – schon wenige Tage nach dem Hamas-Überfall, ja eigentlich bereits vor dem ersten Gegenangriff, hat Israel diesen Krieg in einem wichtigen Bereich verloren. Nämlich medial.

Von den (logisch: wieder einmal) arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Syrien (ausgerechnet), Libanon, und Jordanien (wie immer am leisesten) angefangen, über die Vereinten Nationen, die internationalen Hilfsorganisationen bis hin zu den großen Kirchen (vor allem der protestantischen bei uns) – im Mittelpunkt der Berichterstattung und Mitleidbekundungen steht das Leid der Gaza-Zivilbevölkerung. Zurecht, selbstverständlich. Diese Menschen sind die Ärmsten der Armen. Es war, indes, die Hamas, die ihre Raketen  aus den Rohren bauten, die – mit massiven internationalen Hilfsgeldern finanziert – für die Trinkwasserversorgung der Bewohner aus der (gleichfalls mit Hilfsgeldern bezahlten) Meerwasser-Entsalzungsanlage dienen sollten. Die wiederum  ihrerseits mit (erneut: von Hilfsorganisationen „gespendetem“) Treibstoff hätte betrieben werden sollen, der jedoch von der Hamas „abgezweigt“ wurde.

Fairer, umfassender Journalismus muss natürlich in vollem Umfang über die humanitäre Katastrophe berichten, die – von den Mordbrennern der Hamas ausgehend – durch den israelischen Vergeltungsschlag über die Zivilisten in Gaza gebracht wurde. Und es steht außer Frage, dass jeder unschuldige Tote welchen Alters oder Geschlechts auch immer im Grunde ein Vergehen an der gesamten Menschheit darstellt. Ja gut, der eigentliche Ausgangspunkt für die gegenwärtige Zerstörung und das Blutvergießen auf dem kleinen Fleckchen Erde auf der Sinai-Halbinsel findet in den Berichten auch Erwähnung – also das offensichtlich kühl geplante, aber blindwütig verübte Morden am 7. Oktober. Aber es klingt und liest sich häufig eher beiläufig, wie eine lästige Pflichtübung. Die Schlagzeilen, das Mitleid und die (Demonstrations)Solidarität der Massen finden sich auf Seiten und zugunsten der Täter.

Seltsame Welt? Nein, keineswegs. Dahinter stecken kühle, klug durchdachte Strategie, verbunden mit noch immer nicht aufgearbeiteter Geschichte in Nahost, wirtschaftliche Interessen (Öl und Gas) sowie brutales machtpolitisches Vorgehen, dessen entscheidende Strippenzieher indes weit entfernt vom Geschehen sitzen – in Moskau und Peking, gewiss auch in Washington. Dort wird natürlich auch geplant und entschieden, wie jener andere Krieg geführt wird, den man “cyber war” nennt – frei übersetzt: Krieg der Sterne. Wahre Meister darin sind Wladimir Putins Geheimdienst-Spezialisten, die sich emsig auf der ganzen Breite des Internets tummeln. Es gibt praktisch täglich neue Beweise dafür, wie ihre gezielten Falschinformationen und Propaganda-Behauptungen auf bereitwilliges Glauben und Verbreiten stoßen.

Nicht zuletzt bei uns in Deutschland. Das ist, wahrscheinlich, kein Zufall. In keinem anderen vergleichbaren Land war (vor allem nach dem Zusammenbruch vom Kommunismus und Wiedervereinigung) die Sehnsucht nach dem und der Glaube an den anscheinend nun ausgebrochenen „ewigen“ Frieden so groß wie bei uns. Das galt (politisch) sowohl besonders für weite Teile Sozialdemokratie als gewiss auch für die breite, allgemeine deutsche Öffentlichkeit. In keinem anderen vergleichbaren Land wurde die hochgelobte „Friedensdividende“ so gefeiert wie bei uns – mit der Folge, dass die (ohnehin mehrheitlich ungeliebte) Bundeswehr bis beinahe zur Unkenntlichkeit kaputt gespart, sowie die Themen Außen- und Sicherheitspolitik fast vollständig aus dem politischen Alltag verdrängt wurden.

Besonders deprimierend in dem Zusammenhang ist allerdings, dass dieser Akt des Rückzugs in eine, vor allem sozialpolitisch bestimmte, Kuscheligkeit sehr aktiv von einer Berufsgruppe begleitet wurde, der doch eigentlich eine neutrale Wächterrolle zugeteilt ist. Gemeint sind die Medien, die in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr abrückten von distanzierter Realitätsbeschreibung hin zu einer Möchtegern-Welt.   Ob es beim „Spiegel“ das, offensichtlich lange gewollte, Wegschauen der Redaktionsspitze im Fall des dreist-genialen Lügenstory-Erfinders Relotius war, der das Hamburger Magazin und die Leser lange unbemerkt narrte. Oder um den soeben aufgedeckten – ganz sicher sehr viel brisanteren – Skandal um den hoch dekorierten Journalisten und angeblichen Putin-Kenner Hubert Seipel geht, von dem jetzt bekannt wurde, dass er über einen auf Zypern residierenden russischen Milliardär sowie Briefkasten-Firmen auf den Britischen Jungferninseln mindestens 600 000 Euro kassiert hat. Offensichtlich als Gegenleistung für von ihm verfasste Putin-freundliche Bücher und TV-Dokus, für die er dann in Deutschland auch noch den renommierten Büchner-Preis erhielt.

Mag sein, dass sich der Fall um den inzwischen 73-jährigen Seipel noch ausweitet und sich mit ähnlichen Verwicklungen auch noch auf andere Personen erstreckt. Mag genauso sein, dass er einmalig bleibt. So oder so – er ist eine Schande für einen Berufsstand, der – wie kaum ein anderer – Privilegien genießt (z.B. das Recht auf Auskunftverweigerung, weitestgehende Informationszugänge usw.), was umgekehrt aber auch besonders verantwortungsbewussten Umgang damit verlangt. Seipel hat sich den Verkauf seiner journalistischen Unabhängigkeit von Putin ordentlich versilbern lassen. Journalisten standen noch nie sehr hoch im öffentlichen Ansehen. Meistens auf einer Stufe mit „fahrendem Volk“. Aber zu kaum einer anderen Zeit ist es so vonnöten wie jetzt, diesem Image entgegenzusteuern. Den “Lügenpresse”-Schreiern und Demokratie-Verächtern auf der äußersten Rechten darf nicht auch noch Futter frei Haus geliefert werden.

Gegenwärtig, vielleicht noch immer als Folge des Corona-Schocks, ist eine hohe Zeit der Verschwörungs-Theoretiker, der „Reichsbürger“, „Querdenker“ aber auch politischer Rattenfänger auf dem äußersten, “braunen” Spektrum unterwegs. Die so genannten sozialen Netze sind zwar nicht die Ursache für all den dort verbreiteten hanebüchen Unsinn. Aber sie wirken als gefährliche Brandbeschleuniger angesichts einer Gesellschaft, die – so scheint es – immer gläubiger und damit abhängiger wird von Handy und Computer. Vor diesem Hintergrund wäre ein seriöser, wieder auf geistige (und selbstverständlich wirtschaftliche) Unabhängigkeit gestützter Journalismus nötiger denn je.

Dafür allerdings müsste schleunigst eine Besinnung in vielen Redaktionen einsetzen. Weg vom bloßen “Quoten”-Denken wieder hin zu inhaltlicher Genauigkeit. Und – nicht zuletzt – hin zu möglichst großer innerer Distanz. Besonders wenn es sich um emotionalisierende Vorgänge handelt. „Pannen“ wie unlängst beim Deutschlandfunk dürfen einfach nicht geschehen. Dort war, ungeprüft, die Pressemitteilung der Hamas vom angeblich israelischen Beschuss eines Krankenhauses übernommen und gesendet worden, bei dem angeblich 500 Menschen ums Leben gekommen seien. Dass sich schon kurze Zeit später herausstellte, dass es sich um ein fehlgeleitete palästinensisches Geschoss handelte, wurde dann nur noch „unter Anderem“ erwähnt. Ob dieser Vorfall mit dem Phänomen „Gesinnungsjournalismus“ zusammenhängt, der sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr entwickelte? Früheren Generationen wurde – bleibend – eingebläut, zu berichten „was ist, und zwar nach bestem Wissen und Gewissen“. Und ein Kommentar oder anderer Meinungsartikel musste auf nachweisbaren Fakten und nicht moralischer Gefühle basieren.

Das hat sich leider, vermutlich wegen des Drucks aus den sozialen Netzen, verändert. Talkshows werden (sogar von Politikern selbst) nicht selten wichtiger genommen als Sitzungen der – gewählten! – Parlamente. Von den Machern (um der „Quote“ willen) besonders gern gesehen, sind solche Teilnehmer, die quer bis radikal anders argumentieren als die Mehrheitsgesellschaft. So wie die aktuelle Talkshow-Ikone Sarah Wagenknecht oder (bis vor Kurzem) die einstige Moskau-Korrespondentin und jetzt vehemente Verteidigerin von Putin und dessen Angriffskrieg, Gabriele Krone-Schmalz. Oder auch der seltsam gewandelte, ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und nachmalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat – immerhin zuletzt im Rang eines Vier-Sterne-Generals. Die Beispiele könnten leicht erweitert werden. Doch viel wichtiger wäre die Einsicht vieler Medienmacher, dass sie – erstens – von niemandem gewählt wurden. Und sie deshalb – zweitens – nichts „Besonderes“ und mithin nicht dazu berufen sind, die Gesellschaft zu missionieren. Schon gar nicht, wenn sie sich sogar als käuflich erweisen.

Ein Schand-Beispiel müsste eigentlich genug sein. 

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.

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