Die Dinge offen benennen!
Von Gisbert Kuhn
Unterstellen wir einmal, dass unsere Strafverfolgungsbehörden den jüngst ausgehobenen Sumpf von querdenkenden, reichsbürgerlichen, umsturzbewegten, vor allem aber staatsfeindlichen Möchtegern-Revoluzzern wirklich kriminelle Absichten und Taten nachweisen können. Denn es ist an der Zeit, den Bürgern das Gefühl zu vermitteln, dass dieser Staat, also unser aller demokratisches Gemeinwesen, Wehrhaftigkeit zeigt. Viel zu lange, und viel zu oft, hörte man selbst nach schweren Verbrechen (wie von einer Schallplatte) vor allem von politischer Seite das Mantra, die Täter bekämen „die ganze Härte des Rechtsstaats“ zu spüren. Und dann? Wie lange, zum Beispiel, konnten (und können noch immer) ganze Clans in Berlin, Leverkusen oder Duisburg ihr Unwesen treiben?!
Nein, dies so anzuprangern, heißt nicht, nach dem „übermächtigen Staat“ zu rufen, der „für Ordnung sorgt“. Es bedeutet auch nicht, ständig strengere Gesetze zu fordern oder gar, spezielle Bevölkerungsgruppen (zuvorderst also wohl Flüchtlinge und Asylbewerber) verschärft der Bereitschaft zu Untaten zu verdächtigen. Es geht vielmehr ganz einfach um die Frage, was uns der nach den katastrophal verlaufenen und geendeten Jahren der Hitler-Diktatur aus guten Gründen so verfasste, demokratisch-liberale Rechtsstaat wert ist. Ob er uns als Gesellschaft in ihrer großen Mehrheit überhaupt wert ist, aus ganzer Überzeugung verteidigt zu werden. Dann allerdings darf auch nicht infrage gestellt werden, dass nur ein starker Staat wirklich liberal sein kann.
Stark und liberal sind nicht notwendigerweise Gegensätze. Vielmehr bedingen sie einander. Denn: Was wären die in der Verfassung garantierten Bürger- und Menschenrechte am Ende wert, wenn „der Staat“ (und damit wiederum wir alle) nicht mit Macht hinter ihnen stünden? Das, freilich, setzt zweierlei voraus. Erstens: Verfassungsfeinden eindeutige Grenzen setzen. Zweitens: Dinge auch wirklich beim Namen zu nennen. Ersteres mag früher vielleicht etwas schwieriger gewesen sein, weil sich nicht jeder von ihnen nicht so lautstark und offen auf die Straße traute. Inzwischen, indessen, sind Demos mit NS-Symbolen, Gewaltandrohungen, Springerstiefeln längst an der Tagesordnung. Nicht selten sogar behördlich genehmigt und schützend von der Polizei begleitet. Man muss wirklich kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass bei einem schwachen Staat sehr bald nach dem „starken Mann“ gerufen werden würde.
Und was die direkte Benennung von Tatbeständen anbelangt, so fassen sich Zeitgenossen mit Hinwendung zur deutschen Sprache oft genug einfach an den Kopf. Von den Journalistenverbänden angefangen bis zu ausdrucksneurotischen Wissenschaftlern scheut man sich schon seit langem davor, selbst bei schwersten Gesetzesbrüchen Täter mit ihrer Identität (Name, Hautfarbe, Herkunft) zu bezeichnen. Man müsse, so heißt es immer, vermeiden, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen „unter Generalverdacht“ gestellt werde.
Was für ein Unsinn. Kein auch nur einigermaßen vernünftiger Mensch käme auf die Idee, in allen andersfarbigen Mitbürgern traditionelle Messerstecher zu sehen, weil ein dunkelhäutiger Asylbewerber aus Eritrea in der Nähe von Ulm ein türkisch-stämmiges Schulmädchen ermordet und ein anderes schwer verletzt hat. Es würden wohl auch kaum alle weißen „Bio“-Deutschen als mögliche Giftmörder verdächtigt, wenn ein solcher Fall hierzulande geschähe. Ja, die Angst der selbst aufgestellter Moral gesteuerten Tugendbolde hört ja keineswegs hier auf. Wörter, begriffliche Zuschreibungen, die früher zum ganz normalen Vokabular in Deutschland gehörten, sind seit geraumer Zeit auf die sprachliche Giftliste gesetzt und durch Buchstaben ersetzt. Durch ein K-Wort, oder ein N-Wort und ähnlichem Nonsens. Von wen wurden diese verbalen Sittenwächter eigentlich erwählt, durch wen autorisiert? Und warum hört man ihnen zu, und folgt ihnen sogar?
Ist dadurch die Sprache verständlicher geworden, durchschaubarer oder sogar menschlicher? Natürlich ist sie es nicht. Ganz im Gegenteil. Und da wird es auch gleich gefährlich. Selbstverständlich wird es auch bei uns immer eine Gruppe Menschen geben, die mit Vernunft nicht zu erreichen sind. Die Vorgänge um die Querdenker, Reichsbürger und vergleichbare Zeitgenossen weist das gegenwärtig teilweise bis über die Grenze des Erträglichen aus. Da hilft wirklich nur die so oft zitierte „Härte des Gesetzes“. Aber andere kritische Geister fühlen sich – oft genug zu Recht – verletzt, wenn falsche Tugendwächter ihnen wichtige Informationen vorhalten zu müssen glauben. Nutznießer sind auf jeden Fall Kräfte, die unserem Land und unserer Gesellschaft alles andere als freundlich gegenüberstehen. Und hier wird auf einmal deutlich, wie nahe sich der Mord von Ulm und der Schlag gegen die rechtsextremen Möchtegern-Revoluzzer stehen.
Es ist ja richtig: Die (jedenfalls ihrer Ansicht nach) alles nur gut meinende Sprachpolizei befindet sich – jedenfalls zahlenmäßig – in der Minderheit. Aber es ist eine von sich und ihrem Tun überzeugte, geschlossene, in den (un) sozialen Medien lautstarke Minorität. Bei der zumeist darüber nur den Kopf schüttelnden Majorität mag das keinen Beifall finden, aber sie tut kaum etwas dagegen. Würde sie sich sonst das „Diktat“ der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten beim Gebrauch der so genannten Gender-Sprache mit den künstlich angehängten „-Innen“ an maskuline Hauptwörter gefallen lassen? Aber es kommt ja noch drolliger. So sehr die „Wächter“ auf die Einhaltung von Kunst-Begriffen wie N-Wort achten, so locker lassen sie es in der „Tagessprache“ angehen.
Das ist umso erstaunlicher, als diese Entwicklung doch ganz im Gegensatz zu den angeblichen Bemühungen steht, Sprache (wie im Übrigen die Gesellschaft überhaupt) zu ent-sexisten. In Wirklichkeit geschieht genau das Umgekehrte; vielleicht, weil dieselben Kreise das als „cool“ empfinden. Seit geraumer Zeit sind zum Beispiel Begriffe zum ganz normalen Sprachalltag geworden, die früher eindeutig zum Bereich des Frivolen bis Obszönen zählten. So ist aus „gut“, „toll“, „schön“, „prima“, „ausgezeichnet“, „vorzüglich“, „überragend“ usw. einfach nur „geil“ geworden. Die einstige Bezeichnung für sexuelle Erregung ersetzt also mittlerweile einen ganzen Sprachschatz. Eine wahrhaftig kulturelle Weiterentwicklung! Noch ein Beispiel? Bitte sehr: In der Vergangenheit wurde jemand als „stark“ bezeichnet, wenn er bestimmte Kräfte entwickelte. Das konnte im Fußball auch ein begnadeter Verteidiger sein oder ein anderer ausdauernder Sportler. Seit einiger Zeit genügt es, „Eier“ zu haben. Eigentlich eine unerlaubte männliche Bevorzugung. Wo bleibt die sprachlich gleichgewichtige Frau?
Welch ein Fortschritt! Warum nur hat man es in Deutschland verlernt, die Dinge – wie es sich gehört – einfach beim Namen zu nennen. Wer nicht diskriminiert werden will, würde es dadurch ganz bestimmt auch nicht werden. Und entscheidender noch: Wenn nicht die demokratischen Kräfte das aufgreifen, was die Bürger beschwert (ob zurecht oder auch nicht), dann werden es mit Sicherheit die politischen Rattenfänger tun. Es ist immer klug, das Ende zu bedenken.
Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.