Von Gisbert Kuhn

Gisbert Kuhn

Eigentlich sollte es überflüssig sein, nochmal betont zu werden. Trotzdem, und um bei der Leserschaft alle gewollten und ungewollten Missverständnisse von vornherein zu vermeiden: Selbstverständlich sind vor Gott und (hoffentlich) wenigstens den meisten einigermaßen zivilisierten Mitbürgern alle Menschen gleich. In ihrem Wert und in ihrer Würde. Und zwar ganz unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Glauben, politischer Anschauung oder sexueller Ausrichtung. Entscheidend sind andere Dinge. Alle voran – Charakter, Hilfsbereitschaft, Solidarität. Kurz: Sich, seinem Nachbarn, dem Land, der Erde hilfreich und nützlich zu sein.

So, nachdem dies nun (erneut hoffentlich) klargestellt ist, wird es Zeit, sich der Frage zu stellen, die nicht nur zurzeit, sondern (vermutlich) wohl auch noch ziemlich lang die Gemüter der Leute im Land zwischen Rhein und Oder, Flensburg und Konstanz bewegt und umtreibt Ist der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit seiner Nationalmannschaft nach Katar gereist, um Champion auf dem grünen Rasen oder Weltmeister im Verbreiten deutscher und vielleicht auch allgemein-abendländischer Moralvorstellungen zu werden? Wobei die Antwort darauf nicht sonderlich schwer zu finden ist. Sollte – wofür nach dem blamabel verlorenen Auftaktspiel der DFB-Jungs gegen Japan und dem glücklichen 1:1 gegen Spanien allerdings immer noch nicht viel spricht – die Elf von Hansi Flick am Ende des Turniers wirklich den Cup in den Händen halten, würde das gewiss nicht bloß als gewaltiger sportlicher Erfolg gefeiert werden. Wäre hingegen (was der Himmel verhüten möge) für die hoch gelobten und fürstlich dotierten Kicker im Falle einer Schlappe gegen Costa Rica erneut schon wieder in der Vorrunde Schluss, gäbe es ganz sicher wenig Mitleid und stattdessen Häme in Massen.

Dies so zu prophezeien, ist keine Spökenkiekerei. Es bedeutet auch nicht, den Teufel an die Wand zu malen. Es ist vielmehr purer Realismus. Na gut, ein bisschen Rechthaberei mischt sich schon in die Vorhersage. Und zwar einfach deshalb, weil sich Fußballer auf der Bühne der Welt-Öffentlichkeit als Akteure in einem Stück einsetzen ließen, das eigentlich 10 Jahre vorher verpfuscht und danach zunächst einmal achtlos zur Seite gelegt worden war. Und zwar von den letztendlich verantwortlichen Politikern und Sportfunktionären. Als die FIFA – also der Weltfußball-Verband – 2010 die Ausrichtung des jetzigen Championats an den kleinen, mit Öl und Gas überreichlich gesegneten, Wüstenstaat vergab, war es weiß Gott kein Geheimnis, dass die dort vorherrschenden Religions-, Menschrechts- und Sittenverhältnisse alles andere als deckungsgleich mit den unsrigen sind. Ausschlaggebend für die Zuweisung waren, wie man seinerzeit bereits ahnte und inzwischehn längst weiß, ganz andere Gründe.

Dass es den damaligen Strippenziehern an der Spitze der FIFA, Sepp Blatter und seinem „Lehrling“ Gianni Infantino, zunächst nicht einmal etwas ausmachte, die Mannschaften im Sommer bei 40 Grad und darüber auflaufen zu lassen, wirft ein zusätzliches Licht auf die Frage, welche Rolle die tatsächlich Betroffenen (also die Kicker) in diesem Gerangel um die heiß begehrten Wüstendollars einnehmen. Ja, und das soll auch nicht verschwiegen werden, es wurden seinerzeit durchaus einige kritische Hinweise auf die innenpolitischen und sozialen Zustände in Katar erhoben. Von politischer Seite, aber auch in den Medien. Doch das war ziemlich schnell vorüber. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Peking erhielt vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den Zuschlag für die Olympischen Sommer- (2008) und Winterspiele (2022). Russland wurde mit den Winterspielen (2014) in Sotschi und der Fußball-Weltmeisterschaft (2018) bedacht. Beides mit Sicherheit keine Länder mit politischen Regimen, die sich der Miterfindung von Freiheit und Menschenrechten nach unseren Vorstellungen rühmen könnten. Und dennoch war auch Deutschland überall vertreten.

Gut, es sollte in diesem Zusammenhang auch die Erinnerung daran nicht vergessen werden, dass die Bestrebungen, Deutschland mit München, Hamburg und Garmisch-Partenkirchen in die Olympischen Auswahltöpfe zu werfen, jeweils am Abstimmungs-Nein der Bürger scheiterte. Jetzt aber, beim Thema Katar und Fußball, war im angeblichen Land der Dichter und Denker mit einem Mal die Aufregung groß. Und diese Aufregung besaß (und besitzt) auch ein Symbol. Nämlich die (mittlerweile zur One-Love-Armbinde „entschärfte“) Regenbogen-Fahne der Schwulen-, Lesben- und Diversitäts-Bewegung. Noch einmal, siehe oben, die Gleichheit aller Menschen steht bei uns mit Recht ganz oben. Es steht sogar in der Verfassung. Aber Katar ist kein deutsches Bundesland. Und seine Gesetze und Sitten mögen uns nicht gefallen, dort herrschen sie jedoch nun einmal. Sie damit verändern zu wollen, dass man ein in Deutschland umtriebiges Thema in den heißen Wüstensand bringt, erscheint nun wirklich nicht sonderlich zielführend.

Was also ist der Grund dafür, dass der DFB sein Vorzeigeobjekt („Die Mannschaft“) in eine Situation manövriert, aus der sie ziemlich wahrscheinlich blamiert hervorgehen wird? Es waren, keine Frage, vor allem die Medien, welche die hierzulande mit den Regenbogen-Farben sowie den Menschenrechts- und Sozial-Ungerechtigkeiten in Katar zusammenhängenden Probleme kräftig angeheizt und zu einem wahren Hype erhitzt haben. Die Folge davon: Der DFB, sein neuer Präsident Bernd Neuendorf, aber auch etliche Nationalkicker bliesen schon im Vorfeld des ersten Spiels kräftig die Backen auf und verkündeten: Manuel Neuer, unser Kapitän, wird selbstverständlich mit der One-Love-Binde auflaufen. Und dann? Pustekuchen! Die Fifa verbot die Aktion kurz vor dem Anpfiff. Der DFB kuschte, ließ die Luft aus den Backen. Und die Mannschaft verlor gegen Japan. Von aller Welt unerwartet. Aber bestimmt nicht, weil ihr Anführer die falsche Binde am Arm trug.

Deutschland (und die Berliner Polit-Bühne) konnte freilich trotzdem eine Heldin vorweisen.  Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) präsentierte sich im katarischen Stadion den Kameras. Demonstrativ mit der inkriminierenden Armbinde und auch noch neben dem Fifa-Präsidenten Infantino sitzend. Ist das jener Mannes- (richtiger: Frauen-) Mut vor Fürstenthronen, den Friedrich von Schiller einst forderte? Zumindest wäre es eine sichtbare, verärgerte Entgegnung darauf, dass die Ministerin zuvor (sicher gerne) der Zusicherung des katarischen Emirs aufgesessen war, „jedermann“ sei als Gast willkommen. Demnach also auch die Regenbogen-Gemeinde. Oder tut man der tapferen Vorsitzenden der hessischen SPD einen Tort an, wenn man ihre Armbinden-Demo boshaft mit dem Bestreben verknüpft, im kommenden Oktober Ministerpräsidentin in Hessen zu werden und dafür schon mal Punkte zu sammeln?

So oder so. In Katar findet nun einmal eine Fußball-Weltmeisterschaft statt und kein Diversitäts-Championat. Das aber verlangt, dass unsere Kicker – wie alle anderen auch – sich allein auf ihr Geschäft konzentrieren sollten, nämlich Fußball zu spielen. Natürlich hat auch jeder von ihnen seinen eigenen Verstand. Und den sollte er auch gebrauchen – nach persönlichem Gusto und auch kritisch. Aber kollektiv „Flagge zeigen“? Die Aufgabe heißt doch: kollektiv kämpfen und möglichst auch gewinnen. Denn eines dürfte doch wohl sogar dem eifrigsten Diversitäts-Aktivisten bewusst sein ­– wenn das deutsche Team (nicht auszudenken: vielleicht sogar schon in der Vorrunde!) ausscheiden sollte, wird die Armbinden-Problematik im Verlauf des weiteren Tournier-Verlaufs schlagartig deutlich an Bedeutung verlieren.

Und was dann bei uns in Deutschland losbräche, wollen wir uns noch gar nicht ausmalen. Natürlich würde (und wird) dann die Vielseitigkeits-Debatte mit ihren ganzen Verästelungen wie Gender-Sternchen und Sprach-Verhunzung hierzulande nicht leiser werden. Aber sie fände wieder dort statt, wo sie auch hingehört – innerhalb der Gesellschaft, und sei es auch nur im Rahmen einer Minderheit. Aber für den deutschen Fußball bräche eine Welt zusammen. Schon zum zweiten Mal bereits in der Vorrunde ausgeschieden! Wo war Hansi Flick, der vermeintliche Alleskönner und Heilsbringer nach Jogi Löw? Was ist mit den „deutschen Tugenden“ geschehen? Hat die Gier nach dem Geld die Oberhand gewonnen über die Gier nach siegbringenden Toren? Wird der DFB als mit Abstand mitgliederstärkster Landesverband ohne einen Titel im Rücken noch irgendetwas bewegen können beim längst überfälligen Großreinemachen bei FIFA und auch IOC? Und, nicht zu vergessen, wer wird wohl als Erster beim “unmenschlichen” Katar anklopfen und um Flüssigkeitsgas bitten?

Die Fragen drängen sich auf. Aber noch sträubt sich in einem alles, sie für sich zuzulassen.

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.     

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