Weirichs Klare Kante
Faesers volles Risiko

Volles Risiko scheint die sozialdemokratische Bundesinnenministerin Nancy Faeser für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober zu gehen. Beim jüngsten Delegierten-Treffen ihrer Genossen im nordhessischen Friedewald hat sie sich als Spitzenkandidatin aufstellen lassen. Immerhin scheut sie die Doppelbelastung der Anstrengungen in einem klassischen Bundesministerium und eines Wahlkampfes mit ungewissem Ausgang nicht. Ein Hindernislauf, liegen die Sozialdemokraten in Umfragen doch klar hinter den regierenden Christdemokraten mit Boris Rhein zurück, dem Nachfolger des langjährigen Landeschefs Volker Bouffier.
Wenn Hessens Wähler von der 52 Jahre alten Juristin die klare Aussage erwartet haben sollten, ob sie auch nach einer etwaigen Niederlage bereit sei, als Oppositionsführerin in das Wiesbadener Landesparlament zurückzukehren, wurden sie jedenfalls enttäuscht. Frau Faeser zöge dann den Berliner Amtssessel vor. Früher galt es als förderlich, mit der Strahlkraft eines Regierungsamtes im Bund in einen Wahlkampf in der Provinz zu ziehen. Bei der bescheidenen Reputation der Berliner Ampel eine mehr als zweifelhafte Erwartung.
Beispiele aus der Vergangenheit lassen im Übrigen an der Kraft von „Doppel-Strategien“ zweifeln. So scheiterte Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) 1995 bei seinem Versuch, Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) in Hessen abzulösen. Der gespenstisch unambitionierte Wahlkampf von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) führte 2012 zu einer Klatsche in Nordrhein-Westfalen und zum Absturz des einstigen Lieblings von Bundeskanzlerin Merkel. Nicht zu vergessen den einstigen Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, gleichfalls nur als Sieger in den Kieler Landtag gehen wollte – und entsprechend auf die Nase fiel.
Faesers Genossen haben den Wahlkampf mit einer „Selbstschussanlage“ eröffnet. In einem Tweet auf Twitter führten sie indirekt den Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke auf das fünfzehnjährige Versagen der CDU in der hessischen Innenpolitik mit den Ministern Bouffier und Rhein zurück. Inzwischen ist diese ebenso peinliche wie geschmacklose Bemerkung wieder gelöscht, wohl auf Veranlassung der Wahlkampf-Hoffnung Faeser.
Weil Faeser und die Landespartei im Vorfeld des „Hessen-Gipfels“ eine Vorfestlegung auf die Spitzenkandidatur vermieden, blühten die Spekulationen, die „Sicherheits-Ministerin“ wolle gar nicht in ihre politische Heimat zurückkehren. Alternativen wurden genannt, so der Oberbürgermeister von Offenbach, Felix Schwenke, womit ein bezeichnendes Licht auf die dünne Personaldecke der Partei geworfen wurde.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.