Dieter Weirich

 

Das Glück, zu regieren und endlich wieder einmal den Bundeskanzler zu stellen, schien die einst meistens zerstrittene und in Flügel zerfallene Sozialdemokratie kreuzbrav zu machen. Als größte Regierungspartei begriff sich die SPD unter ihrem moderaten Vorsitzenden Lars Klingbeil als Stabilitätsanker in der von Rauflust geprägten Dreier-Ampel. Zuverlässige Stütze des Kanzlers zu sein, galt als Wert an sich – eine Linie, an die sich auch innerlich mit dieser Politik hadernden Ex-Rebellen wie Generalsekretär Kevin Kühnert oder Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich hielten.

Wenn die SPD nun auf ihrem Bundesparteitag in der Berliner Messe an ihre Tradition als linke Volkspartei anknüpft und etwa eine Reichensteuer sowie zusätzliche temporäre Krisenabgaben von besonders privilegierten Einkommensgruppen fordert, dürfte es sich bei dem Verlangen von Bundeskanzler Scholz nach mehr Geschlossenheit in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode um einen frommen Wunsch handeln. Die Genossen könnten damit zwar ihr Profil schärfen, das Regieren würde damit aber noch beschwerlicher als es ohnehin schon ist.

Nicht nur die oppositionelle CDU/CSU dürfte die verstärkt klassenkämpferische Note in der SPD-Programmatik bekämpfen, auch die mitregierenden Freien Demokraten werden einen weiteren Marsch in den Steuer-und Abgabenstaat als Chance für eine noch deutlichere Abgrenzung in der Koalition sehen. Das gilt auch für sozialdemokratische Reformvorstellungen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer.

Die SPD ist in einer schwierigen Situation, die Wiederwahl ihres Kanzlers bei der Bundestagswahl in zwei Jahren ist in Gefahr. Sie dümpelt in Umfragen um die fünfzehn Prozent vor sich hin, glaubt sich aus den Resten einer zerfallenden Linkspartei bedienen zu können. Ob sie bei ihrem Bundesparteitag mit einem Griff in die sozialdemokratische Mottenkiste Akzente der Wiederbelebung setzt, darf bezweifelt werden.

Auf Ex-Kanzler und Ex-Parteichef Gerhard Schröder will man als Gast übrigens verzichten. Für SPD-Chefin Esken ist er nur ein mit Wladimir Putin dealender „Geschäftsmann“.

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