Olaf Scholz, der „Ampelmann“

Dieter Weirich

Viele Beobachter fragen sich, warum der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Olaf Scholz nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz so euphorisiert ist. In Mainz haben die Sozialdemokraten dank einer populären Ministerpräsidentin und einer pragmatischen Politik der Mitte ihre Regierung verteidigt, in Stuttgart sind sie dagegen nur knapp an der Einstelligkeit vorbeigeschrammt und befinden sich auf niedriger Augenhöhe mit der AfD.

Grund genug für den wahlkämpfenden Finanzminister, einen rot-grün-gelben Lagerwahlkampf auszurufen und sich in einer Mehrheit jenseits der Union als Kanzler zu wähnen. Dumm nur, dass die potentiellen Partner einen eigenständigen Kurs fahren und sich nicht auf eine Ampel festlegen lassen.

Es ist schon ein wenig skurril: Die SPD sieht sich im Vorteil, weil sie als erste Partei ihren Kanzlerkandidaten, der zuvor bei der Wahl zum Parteichef gescheitert war, nominiert hat.  Die Langstrecke bis zur Bundestagswahl dürfte sich für Scholz aber eher als Nachteil erweisen.

Betrachtet man sich die Umfragen seit seiner „Krönungsmesse“, so scheint Scholz die Verzwergung der SPD nicht aufzuhalten. Es gibt dafür einen einfachen Grund. Das Profil des Wahlkämpfers und seiner Partei passen nicht zueinander. In den Streit über die Auswüchse der „Identitätspolitik“ griff der von der Partei-Linken mühsam ertragene Hanseat  erst gar nicht ein.

Sein Parteifreund, der kluge Ex-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hatte vor einer in „Partikularinteressen zerfallenden Gesellschaft“ gewarnt und die neuen „Bilderstürmer“ kritisiert. Die Parteivorsitzende Saskia Esken schämte sich daraufhin für so „rückwärtsgewandte Aussagen“.

Im Vordergrund für diese in ihrer eigenen Echokammer lebenden Genossen stehen nicht mehr Themen der sozialen Ungleichheit, sondern gendergerechte Sprache und der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung von kulturellen, ethnischen und sexuellen Minderheiten. Für sie sind erfolgreiche Wahlkämpfe wie in Rheinland-Pfalz oder auch bei den Sozialdemokraten in Dänemark keine Blaupausen.

Inzwischen versucht Scholz die Corona-Krise für seinen eigenen Wahlkampf durch Illoyalitäten zu nutzen, macht mit hanebüchenen Ankündigungen von sich reden. So will er (noch einmal: er ist Bundesfinanzminister) von März bis Juni wöchentlich 10 Millionen Menschen geimpft sehen, womit wir im Frühsommer die Herdenimmunität erreicht hätten.

Scholz hat sich in den nächsten Tagen als oberster Finanz-Aufseher zu verteidigen. So steht er vor zwei Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, in Berlin und in Hamburg. Die Einschläge des Wirecard-Skandals kommen immer näher, seit bekannt wurde, sein Staatssekretär Kukies habe noch kurz vor der Insolvenz einen Kredit bei einem bundeseigenen Institut zu erreichen versucht. Undurchsichtig ist auch die Rolle von Scholz als Hamburger Bürgermeister bei der Cum-Ex-Affäre, dem größten Steuerraub der Nachkriegsgeschichte.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, veröffentlicht jeden Montag mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Frankfurter Neuen Presse”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

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