Lobo Antunes – Am anderen Ufer des Meeres
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Lobo Antunes – Am anderen Ufer des Meeres
Der renommierte, in Lissabon geborene Autor, der Psychiatrie studierte und von 1971 bis 1973 siebenundzwanzig Monate lang als Militärarzt im Kolonialkrieg war, schöpft aus seinen Beobachtungen.

Die Perspektive des Romans wechselt zwischen drei Figuren, einem ehemaligen Offizier der Kolonialtruppen, einem Beamten der Kolonialverwaltung und der Tochter eines Plantagenbesitzers, die sich in Portugal befinden aber den Erlebnissen in der Kolonie Angola hinterhersinnen. Alle drei fühlen sich in der alten Heimat fremd, da sie an Status verloren haben und die Gesellschaft verändert ist. Zwei Schlüsselereignisse dieser Kolonialzeit bilden den historischen Hintergrund. Das eine ist der brutal niedergeschlagene Landarbeiterstreik in einer angolanischen Baumwollplantage. Das andere ist der dadurch ausgelöste Befreiungskrieg gegen die portugiesische Herrschaft.
Der Offizier ergeht sich in sexuellen Anzüglichkeiten und Angeberei, er trauert seinem Selbstbild als Held hinterher und verdrängt alles Brutale, ebenso der Beamte, der seine Privilegien verloren hat, während die Frau ihre Vorgeschichte in Afrika verklärt, sich in Naturbetrachtungen verliert. Alle drei verdeutlichen ihre rassistische Einstellung gegenüber den einheimischen Angestellten und Arbeitern.
Der Schreibstil ist mehr als ausgefallen. Thomas Mann setzte wenigstens nach einem seitenfüllenden Satz mal einen Punkt. Antunes setzt außer dem Komma kaum Satzzeichen. Gedankenfetzen, Halbsätze, Bilder, Beobachtungen, Metaphern und Zeitsprünge, hängen, nur durch Kommata getrennt, zu einem Erinnerungsmonolog aneinander und wiederholen sich mehrfach.
Im Zentrum stehen Gedanken und vor allem Empfindungen wie Stolz, Scham, Verlust. Ebenso unvollständige Sätze, nur mit Bindestrich markiert, sind als Absatzunterbrechung als quasi direkte Rede dazwischen gesprengt. Ein Gespräch gibt es nicht, die eingeworfenen Sätze oder Fragen ohne Satzzeichen, die sogar mitten in Worte geknallt werden, verstärken den Eindruck von Einsamkeit und Melancholie. Dieser originelle Stil fordert dem Leser höchste Konzentration ab und könnte der assoziativen Erzählweise psychiatrischer Patienten nachempfunden sein.
António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren…
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Ausgabe:Hardcover, mit Schutzumschlag, 448 Seiten, 13,5×21,5cm
Erschienen am:06.11.2024
Originaltitel:A OUTRA MARGEM DO MAR
Übersetzung:Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
ISBN:978-3-630-87735-8
Originalverlag:Publicações Dom Quixote
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