Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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© Anna Leader

Die junge Autorin schöpft ohne Zweifel aus ihrer eigenen Migrationserfahrung. Die aus dem Iran stammende Schülerin wunderte sich, warum ihre guten Sprachkenntnisse im Englischen ihr dennoch lange keine Anerkennung bei Gleichaltrigen einbrachten. Den elaborierten Code der Gruppensprache, Zwischentext oder bestimmte Ausdrücke, lernt man nicht im Unterricht. Nach dem hervorragend abgeschlossenen Studium erhielt sie einen Job bei McKinsey, der seine Angestellten ausführlich konditioniert, mit welchem Auftreten man potentielle Kunden blendet, um sie – auch gegen besseres Wissen – zu einem Geschäftsabschluss zu bringen.

In einem Mix aus ausgeschmückten Szenen und Dokumentation wechselt Nayeri von einem Sachgebiet zum nächsten. In eindrücklichen Abschnitten nimmt sie Asylbewerbergespräche, Arztverhalten, Folterszenen und Gerichtsprotokolle unter die Lupe. Welche Verhaltensweisen, die im Heimatland üblich sind, untergraben im Ausland die Glaubwürdigkeit eines Interviewpartners von vornherein oder erwecken Eindrücke, die zum Misserfolg führen müssen, weil das Gegenüber einem anderen Muster folgt. Die mangelnde Einfühlung und der lückenhafte Kenntnisstand der Ausländerbehörden tragen die negative Beurteilung schon in sich.

Das eigene Vorhaben, sei es Anerkennung als Flüchtling, Behandlung bei einem Arzt oder Stellenausschreibung, beendet man nur erfolgreich, wenn man den speziellen Code kennt. Der umfasst sowohl das Äußere, als auch das Verhalten und die Sprache. Als besonders perfide schildert die Autorin das amerikanische Rechtssystem, in dem Vorurteile und Unfähigkeit der Justizangestellten bewusst oder unbewusst die Ermittlungen in vorgefasste Urteile lenken. Eine Unschuldsvermutung spielt anscheinend hier keine Rolle. Der sogenannte gesunde Menschenverstand dominiert Expertengutachten. Ja, Expertenwissen wird grundsätzlich misstraut.

Im Gegensatz zu der beachtenswerten linguistischen und sozialkritischen Analyse betrachtet sie sehr ausführlich ihre Familie in emotionalem Stil, deren Verhältnis zur Religion und die Rolle ihres psychotischen Schwager, dem die Ärzte nicht glaubten. Möglicherweise war sein Suizid sogar Auslöser, dieses Buch zu schreiben. Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über. Indem die Autorin ihrer familiären Seite viel Raum gibt, relativiert sie leider die hochdramatischen Fallbeispiele.

 

Dina Nayeri wurde im Iran geboren und erhielt mit zehn Jahren Asyl in den Vereinigten Staaten. Ihr Debütroman Ein Teelöffel Land und Meer wurde in 14 Sprachen übersetzt. Mit ihrem erzählenden Sachbuch Der undankbare Flüchtling gewann sie den Geschwister-Scholl-Preis. Sie hat Abschlüsse von Princeton, Harvard und dem Iowa Writer´s Workshop und war Stipendiatin am Columbia Institute for Ideas and Imagination in Paris und an der American Library in Paris. Sie ist Preisträgerin des O. Henry Prize und des UNESCO City of Literature Paul Engle Prize. Ihre Texte wurden u. a. in der New York Times, dem Guardian, dem New Yorker und Granta veröffentlicht. Zurzeit ist sie Dozentin an der Universität von St. Andrews in Schottland.

 

Kein & Aber AG

Dina Nayeri
Wem geglaubt wird
Format: 15.5 x 22 cm, 352 Seiten
ISBN: 978-3-0369-5005-1

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