Respekt für Abweichler
von Dieter Weirich

Als Unions-Abgeordnete Bundeskanzler Merz die Stimme verweigerten, weil er bei einer Abstimmung AfD-Voten in Kauf nahm, wurden sie als heldenhafte Widerständler gefeiert. Jetzt sind Mandatsträger der Regierungspartei, die die von der SPD vorgeschlagene Bundesverfassungsgerichts-Bewerberin Frauke Brosius-Gersdorf ablehnen, nach Ansicht von SPD-Generalsekretär Miersch Opfer des „rechten Mobs“, wobei er die Berichterstattung konservativer Medien anspricht. Dies ist eine böse Respektlosigkeit gegenüber Teilen der mitregierenden Union, deren Abgeordnete nach Artikel 36 der Verfassung nicht an Aufträge und Weisungen, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Das gilt für Sach-wie Personalentscheidungen.
Man kann davon ausgehen, dass die meisten Abgeordneten die juristische Qualität der Kandidatin Brosius-Gersdorf nicht beurteilen konnten, manche hatten aber unübersehbare Probleme mit ihren rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Positionen zum Schwangerschaftsabbruch, Ehegattensplitting, Genderdeutsch ,zum AFD-Verbot und zum Renteneintrittsalter . Abgeordnete mit ausgeprägt christlichen Wertvorstellungen störten sich vor allem auch an den Begründungen für späte Abtreibungen. Selbstverordnete Zurückhaltung übte die Anwärterin für das höchste deutsche Gericht auch nicht, was bei vielen Konservativen im Hohen Haus auf Ablehnung stieß.
Der freie und unabhängige Parlamentarismus ist der Gewinner dieser misslungenen Richterwahl, Verlierer ist vor allem die Leitung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion um Jens Spahn, die im Verbund mit ihren Rechtspolitikern diese Wahl einfach nur so durchwinken wollte. Die Geschmeidigkeit bei der Kompromissfindung ,der man zuvor einen eigenen Richterkandidaten nach „grünem“ Einspruch geopfert hatte, finden viele zu weitgehend.
Die Renegaten machten deutlich, dass sie kein Stimmvieh sind, dass sich der Anspruch auf gründliche Information und Vorbereitung von Personalentscheidungen erhöht hat und dass sie Respekt für ihre Haltung erwarten. Spahn und auch Merz sollten gewarnt sein.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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