Dr. Günter Müchler

Das Jahr hat sein Programm fast abgespult. Die Bilanz fällt ernüchternd aus. Wenn man ehrlich ist, hat 2025 innen- und außenpolitisch kaum etwas zustande gebracht, was den weihnachtlichen Gabentisch schmückt. Es war ein Trump-Jahr durch und durch. Wer kann sich an eine Zeit erinnern, wo die Welt von einem einzelnen Akteur, von seinen Handlungen und seinen Sprüchen derart dominiert wurde wie diese? Schade nur, dass die Höchstleistung der Welt nicht gutgetan hat. Gewiss, unfriedlich war sie schon vor Trump, so unberechenbar aber nie. Geheilt hat Trump mit seinem sprunghaften Politikstil nichts, zerstört so manches. Neue Konfliktfelder sind entstanden. Europa bekommt das zu spüren. Es ist dabei, Abschied zu nehmen von einer Weltordnung, die ihr über Jahrzehnte viele Sorgen abgenommen hat, und tut sich schwer damit.

Wohin man sich wendet, der Schwefelgeruch der Trumpschen Amtsführung dringt durch alle Ritzen. Er droht auch die ökonomische Genesung Deutschlands zu vermiesen. Mit auf Pump besorgten Investitionsmilliarden, mit Steuererleichterungen und dem Abbau bürokratischer Hemmnisse wollte die neue Bundesregierung die Wirtschaft aus der Erstarrung katapultieren. Seit einem guten halben Jahr ist sie im Amt, aber das Wachstum will nicht auf Touren kommen. Bremsfaktoren gibt es viele. Ein wichtiger, vielleicht der wichtigste überhaupt, ist der von Trump angezettelte weltweite Handelskrieg. Unternehmer, die ihre Taschen öffnen sollen, brauchen zuallererst Planungssicherheit. Dafür ist Trumps Protektionismus mit seinen irrlichternden Strafzöllen, die mal dieses Land treffen, mal jene Branche, pures Gift.

Der Handelskrieg, der am Ende nur Verlierer haben wird, gehört zu Trumps Methoden, im Scheinwerferlicht zu bleiben. 40 Prozent auf die Einfuhren aus dem Staat X, 60 Prozent aus dem Staat Y – die Unterschrift setzt der Präsident mit dicker Feder vor laufender Kamera. Die Botschaft der Show richtet sich nach innen. Seht, unser Präsident meint es ernst mit seinem MAGA-Versprechen. Er macht Schluss mit der elenden Ausnutzung amerikanischer Gutherzigkeit. Sein Kampf für America First ist unerbittlich und kennt keine Verwandten. Dass die Methode primär Unordnung in die Weltwirtschaft bringt, würde Trump nicht als Vorwurf gelten lassen. Sie entspricht seiner Überzeugung, wonach Politik nicht anders funktioniert als Geschäftemachen.

Trumps Anhänger feiern seine „Deals“ in den höchsten Tönen. Der Präsident habe im Handumdrehen weltweit dutzende von Konflikten beendet, schwärmen sie. Die Realität sieht anders aus. Zwar hält der Waffenstillstand im Gazastreifen einigermaßen. Aber die harten Nüsse auf dem Weg zum Frieden, zum Beispiel die Entwaffnung der Hamas, sind noch nicht geknackt. Ähnlich ist die Bilanz von Trumps Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg. Es ist Putin, der den großen Zampano am Nasenring durch die Manege zieht, nicht umgekehrt. Und wurde nicht großspurig verkündet, die lange schwelenden Streitigkeiten zwischen Kambodscha und Thailand, zwischen dem Kongo und Ruanda seinen dank Trump’scher „Deals“ Vergangenheit? Die Nachrichten legen andere Schlüsse nahe. Trump ist ein Großer, vor allem ein großer Blender.

Dabei wäre es falsch, im amerikanischen Präsidenten nur das Disruptive zu sehen. Die seit wenigen Tagen auf dem Tisch liegende neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ macht deutlich, dass Trump sehr wohl eine Ordnungsvorstellung besitzt. Als offizielles Dokument ist sie ernster zu nehmen als das übliche Schwadronieren des Präsidenten. Ihr Inhalt ist bei den Europäern als Wirkungstreffer angekommen. Von einer „zweiten Zeitenwende“ hat der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen gesprochen, von einem „Scheidungsbrief“ Franziska Brantner, Co-Vorsitzende der Grünen.

Der Alarm ist begründet. Mit dem Papier sagt sich Amerika zwar nicht komplett vom alten Kontinent los. Es setzt ihn nur auf die Reservebank seiner Prioritäten. Die Zustandsbeschreibung ist drastisch. Wirtschaftlich befinde sich Europa im Niedergang, zivilisatorisch nähere es sich dem Untergang. Als Ursachen nennt das Papier der Reihe nach die Europäische Union, also Brüssel, die Migrationspolitik, den Geburtenrückgang sowie Pressezensur und die Unterdrückung der Opposition.

Wirklich neu ist an diesem bizarren Abgesang gar nichts. Mehr oder weniger kamen die Versatzstücke bereits in jener denkwürdigen Rede vor, die Vizepräsident J.D. Vance Anfang des Jahres vor der Münchner Sicherheitskonferenz hielt. Nota bene: Vance ist Trumps ideologischer Krafttrainer. In München waren die perplexen Zuhörer geneigt, seine Philippika für eine verbale Einmal-Entgleisung zu halten. Das geht nun nicht mehr. Alle Anklagepunkte, die Vance im Tagungshotel „Bayerischer Hof“ bei erkennbar hohem Blutdruck den Europäern an den Kopf warf, sind jetzt auf Amtspapier gedruckt.

Besonders verstörend ist der Vorwurf, in Europa werde Zensur geübt und die Opposition werde unterdrückt. Gemeint mit „Opposition“ sind vermutlich Parteien wie die deutsche AfD. Nun herrscht in den Medien hierzulande, speziell im Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk, ohne Zweifel ein linksgrüner Grundton. Darüber kann man sich ärgern genauso wie über Entwicklungen an einigen Hochschulen des Landes, die Züge eines Kulturkampfs tragen. Cancel culture ist eine über den Ozean zu uns herübergeschwappte Krankheit mit aggressiven Zügen. Der Trumpismus antwortet darauf mit einem Kulturkampf, der ähnlich aggressiv ist und platter daherkommt. In Revanche auf den „wokism“ streicht die Regierung Universitäten die Unterstützung, übt unverhohlen Druck auf Zeitungen aus und versucht, Medienkonzerne unter Kontrolle zu bringen.

Staatsgrenzen spielen in diesem Kulturkampf keine Rolle. Momentan sieht sich die britische BBC sich einer 10-Milliarden-Klage Trumps gegenüber. Anlass ist ein Beitrag über den Pöbel-Angriff aufs Capitol im Januar 2022. In dem Beitrag wurde durch Manipulation von Zitaten suggeriert, Trump habe direkt zu der Attacke aufgerufen. Die BBC hat sich für die Fehlleistung entschuldigt und Verantwortliche aus der Führungsebene in die Wüste geschickt. Nichtsdestotrotz und obwohl der Beitrag nie in den USA zu sehen war, kommt Trump nun mit einer Klage, die auf Vernichtung zielt. Er, der Fake News hoffähig gemacht hat, ist nun wahrhaft der letzte, der sich als Lehrmeister in Sachen Demokratie aufspielen darf.

Nicht überraschend ist auch, was die „Nationale Sicherheitsstrategie“ zum Themenkomplex Rußland/Ukraine zu sagen hat. Viele Europäer sähen in Rußland „eine existentielle Bedrohung“, heißt es da. Das trifft den Kern, doch im Kontext erscheint der Satz das Abwinken eines Psychiaters, dem die notorische Paranoia des Patienten nur allzu bekannt ist. Verbessern ließen sich die europäisch-russischen Beziehungen, heißt es weiter, durch ein „erhebliches diplomatisches Engagement“ der USA, allein, die Last nehme man auf sich. Die Zukunft der Ukraine? Rußlands Krieg, der jetzt schon fast so lange dauert wie der Erste Weltkrieg, scheint für die Autoren der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ vom Himmel gefallen zu sein. Kein Wort über Putin, keine Rede davon, dass Rußland die Ukraine überfallen hat und jede Nacht mit seinen Drohnen und Raketen Tod und Zerstörung über das Nachbarland bringt. Immerhin wird als Ziel herausgestellt, die Ukraine solle „als funktionsfähiger Staat überleben können.

Aufschlussreich wird das Papier dann, wenn man die Akteure – die erwähnten und die nicht ausdrücklich genannten – wie in einem Liniendiagramm miteinander vernetzt. Europa – genauer Kontinentaleuropa – wird durch das Papier, das Trumps Unterschrift trägt, als dekadent markiert. Das dürfte exakt der Einstellung Putins entsprechen. Und es ist Gemeingut der Orbans, der Höckes, der Farages, die Putins Fünfte Kolonne in Europa bilden und die in Bewunderung der autoritären Führer in Washington und Moskau förmlich dahinschmelzen.

Die antiliberale, autoritäre Komplizenschaft gibt einen Reim auf den Ansporn, den die nach Washingtoner Maß liliputanischen Vorstände der deutschen AfD immer wieder von jenseits des Atlantik erhalten. Nur durch sie wird verständlich, weshalb die „Nationale Sicherheitsstrategie“ mit so viel Heuchelei über die angeblich desaströsen Zustände in Europas Demokratien herzieht. Sie mimt tiefe Besorgnis, lässt es dabei aber nicht bewenden. Es müsse eine Priorität amerikanischer Politik sein, „den Widerstand gegen den derzeitigen Kurs Europas innerhalb der europäischen Staaten stärken“, droht das Papier am Ende des Europa-Kapitels.

Was deutet sich hier an? Einmischung in die europäischen Verhältnisse? Hybride Kriegführung, diesmal nicht nur betrieben vom Kreml, sondern gesteuert vom Weißen Haus? Selbst wenn man die Zuspitzung nicht gelten lassen will, ist das Signal, welches die „Nationale Sicherheitsstrategie“ setzt, eindeutig. Die Ära der selbstverständlichen nordatlantischen Partnerschaft ist zu Ende. Die neue Weltordnung, die Trump ansteuert, besteht aus den USA, China, Rußland, Indien und Japan. Europa kommt darin nicht vor.

Das ist bitter. Fast noch bitterer ist, dass die Europäer die amerikanischen Unfreundlichkeiten nicht mit gleicher Münze heimzahlen können. Sie müssen Trump nicht gleich in den Hintern kriechen wie der unsägliche Fußball-Funktionär Gianni Infantino, der Trump kürzlich einen kiloschweren Friedenspreis verlieh. Aber sie müssen den realen Machtverhältnisse Rechnung tragen. Sie müssen von der Nato retten, was zu retten ist, selbst um den Preis eines Auftretens, das gelegentlich die Grenze zur Unterwürfigkeit schrammt. Europas selbstverschuldet Schwäche, hat viele Folgewirkungen, auch ausgesprochen hässliche.

Umso wichtiger ist, die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Epochenbruch zu ziehen. Europa muss die Abhängigkeit von Amerika verringern. Es muss durch gründliche institutionelle Reformen außenpolitisch handlungsfähig werden. Zugleich ist es unerlässlich, den Menschen den Irrglauben zu nehmen, sie könnten in der Hängematte oder als friedenspolitisch kostümierte Tunixe einer aggressiven Macht wie Rußland beikommen. Aufrüstung und Kriegsbereitschaft, die dem Zweck der Abschreckung dienen, dürfen nicht länger Unworte sein.

Glücklicherweise setzt der Kanzler vor diesem Hintergrund die richtigen Akzente. Europapolitisch ist Friedrich Merz dabei, Deutschland von einem müden Beifahrer in einen Akteur zu verwandeln. Er hat das Schicksal der Ukraine zum europäischen Lackmustest deklariert, und das ist richtig. Wird die Ukraine im Stich gelassen, kann man alle Ansätze zu einer geopolitischen Neugründung Europas vergessen. Dann wird Europa genau die Nullität sein, die Trumps neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ dem alten Kontinent unterstellt.

Dr. Günter Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.