Politik: Nichts zu gewinnen

Bei den Neuwahlen in Griechenland gibt es für die linken Parteien kaum was zu holen. Für sie geht um die Oppositionsführerschaft – und ums Überleben.

Zum zweiten Mal in diesem Sommer wird in Griechenland am 25. Juni ein neues Parlament gewählt. Zu erwarten ist, dass die Mitte-rechts-Partei Nea Dimokratia („Neue Demokratie“) diese Wahlen deutlich gewinnt, damit eine parlamentarische Mehrheit hat und so weitere vier Jahre an der Macht bleibt.

Kyriakos Mitsotakis ©wikipedia

Kyriakos Mitsotakis steht kurz davor, das Amt des griechischen Premierministers zu behaupten, nachdem seine Partei bei der ersten Wahl am 21. Mai alle Erwartungen übertroffen hat. Sie erhielt fast 41 Prozent der Stimmen und steigerte damit nicht nur ihren Stimmenanteil, sondern auch die tatsächliche Anzahl der Stimmen, die sie im Vergleich zu den vergangenen Wahlen im Jahr 2019 erhielt. Dies war eine beeindruckende Leistung nach vier schwierigen Jahren an der Macht, die von der Covid-Pandemie, hohen Migrationszahlen, dem Krieg in der Ukraine und der Krise der Lebenshaltungskosten geprägt waren.

Unmittelbar nach dem 21. Mai lag der Fokus natürlich auf Mitsotakis und darauf, was er richtig gemacht hatte, um einen so überzeugenden Sieg zu erringen, auch wenn ihm einige Sitze zu einer Parlamentsmehrheit fehlten. Am 21. Mai wurde in Griechenland das Verhältniswahlrecht angewandt; nun wird am 25. Juni die siegreiche Partei durch die Rückkehr zum alten Wahlrecht einen Bonus von bis zu 50 Sitzen erhalten, was es ihr erleichtert, allein zu regieren.

Mitsotakis wurde dafür belohnt, dass er die Wirtschaft in Richtung Aufschwung lenkte, ein Gefühl der Stabilität erzeugte, die Verteidigungsbündnisse des Landes stärkte, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung beschleunigte und die politische Debatte in Griechenland etwas entschärfte. Auch nicht übersehen werden sollte, dass die Regierung Mitsotakis Milliarden von Euro für Subventions- und Hilfsprogramme im Zusammenhang mit der Covid-, Energie- und Lebenshaltungskostenkrise ausgegeben hat. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass er als liberaler Marktbefürworter seine starke Position so sehr durch die Rolle des Staates, die EU-Finanzierung und das Geld der Steuerzahlerinnen erlangt hat.

Das Ergebnis vom 21. Mai scheint jedoch eher eine durchschlagende Niederlage für die wichtigsten Oppositionsparteien Griechenlands zu sein.

Angesichts der bevorstehenden zweiten Wahl scheint das Ergebnis vom 21. Mai jedoch eher eine durchschlagende Niederlage für die wichtigsten Oppositionsparteien Griechenlands zu sein – für die linke SYRIZA und die mitte-links-gerichtete PASOK –, als ein durchschlagender Sieg für die Nea Dimokratia. Es besteht kein Zweifel, dass SYRIZA und ihr Vorsitzender Alexis Tsipras die großen Verlierer des letzten Monats waren. SYRIZA erreichte gerade einmal 20 Prozent und lag damit 11,5 Punkte unter ihrem Ergebnis von 2019, als sie die Macht erdrutschartig an die Nea Dimokratia verlor.

Die Zahlen für die PASOK waren besser. Die Sozialdemokraten gewannen im Vergleich zu 2019 etwa 3,5 Prozentpunkte hinzu, als sie am 21. Mai11,5 Prozent der Stimmen erhielten. Dies war ein guter erster Schritt für den Parteivorsitzenden Nikos Androulakis, nachdem er im Dezember 2021 das Amt übernommen hatte. Doch die PASOK ist noch weit davon entfernt, wieder eine entscheidende Kraft in der griechischen Politik zu werden.

Androulakis deutete an, dass sein nächstes Ziel darin besteht, die PASOK zur Hauptoppositionspartei zu machen und SYRIZA als zweitgrößte politische Gruppierung Griechenlands abzulösen. Tsipras, dessen Führungsrolle nun in Frage steht, räumte ein, dass SYRIZA im Wahlkampf Fehler gemacht und nicht genug getan habe, um die Vorteile des Verhältniswahlrechts zu nutzen und Interesse an einem progressiven Bündnis zu wecken.

Das Problem für PASOK und SYRIZA ist, dass Mitsotakis zu dominant sein wird, um  ihm ernsthaft Konkurrenz zu machen.

Das Problem für PASOK und SYRIZA ist, dass Mitsotakis, wenn es in den nächsten Tagen keine große Überraschung gibt, so dominant sein wird, dass selbst die nächsten vier Jahre nicht ausreichen könnten, um ihm ernsthaft Konkurrenz zu machen. Abgesehen von ihrer relativ geringen Unterstützung deuten die Daten der Befragungen am Wahltag auch darauf hin, dass es den beiden wichtigsten Oppositionsparteien nicht gelungen ist, der griechischen Öffentlichkeit überzeugende Argumente zu präsentieren. Dabei war die Wählerschaft, anders als das Wahlergebnis vermuten lässt, durchaus bereit, Alternativen zur Nea Dimokratia in Betracht zu ziehen.

Die von Metron Analysis durchgeführte Befragung am Wahltag zeigt, dass mehr als die Hälfte der Griechen, die für die Nea Dimokratia gestimmt haben, sich der Mitte-rechts-Partei nicht besonders verbunden fühlten. Außerdem gaben 50,6 Prozent derjenigen an, die die Konservativen unterstützten, sie hätten dies entweder getan, weil sie sie für die am wenigsten schlechte Option hielten, oder weil sie ihren Unmut über eine andere Partei zum Ausdruck bringen wollten.

Diese Zahlen zeigen, dass es für die Oppositionsparteien durchaus möglich gewesen wäre, Mitsotakis Stimmen abzuziehen. Schließlich waren seine vier Jahre an der Macht alles andere als makellos: Es ist fraglich, ob der Aufschwung Griechenlands nachhaltig ist, die Vorteile des Wachstums haben nur wenige im Lande gespürt, es sind mehrere Fragen der Rechtsstaatlichkeit aufgetaucht und die seit Langem bestehenden Probleme in der öffentlichen Verwaltung halten an.

Die Versuche der Oppositionsparteien, ihre Ideen zu präsentieren, wurden durch die sehr regierungsfreundlichen Mainstream-Medien behindert.

SYRIZA erwies sich als unfähig, aus diesen Mängeln Kapital zu schlagen, während die Gewinne der PASOK relativ gering waren. Keine der beiden Parteien präsentierte eine besonders überzeugende Alternative zu den von Mitsotakis propagierten unternehmensfreundlichen Reformen mit niedrigen Steuern. Allerdings muss eingeräumt werden, dass die Versuche der Oppositionsparteien, ihre Ideen zu präsentieren, durch die sehr regierungsfreundlichen Mainstream-Medien behindert wurden.

Für SYRIZA hat das Ergebnis vom 21. Mai eine Phase des Nachdenkens über die eigene Existenz eingeleitet. Die Partei wurde ursprünglich als Koalition linker, antikapitalistischer Kräfte gegründet, bevor sie 2015 durch die schwelende Anti-Bailout-Stimmung während der griechischen Wirtschaftskrise an die Macht gedrängt wurde. Als die Krise nachließ, gelang es SYRIZA nicht, eine neue Richtung und ein neues Ziel zu finden. Selbst nach der schweren Niederlage im Jahr 2019 kam es nicht zu einer vermeintlichen Hinwendung zur linken Mitte. Stattdessen behielt SYRIZA die düsteren Aussichten und die feindselige Sprache bei, die sie während der Krise angetrieben hatten. Es gelang ihr auch nicht, eine gemeinsame Basis mit anderen linken Parteien zu finden, um in den Köpfen der Wählerinnen eine Regierungsalternative zu schaffen. SYRIZA vermittelte in den letzten vier Jahren den Eindruck einer Partei, die in der griechischen Krise verhaftet geblieben war, während die meisten Wähler schon weiter gegangen waren. Sie blieb eine Protestpartei, als sich die Menge längst zerstreut hatte.

Die PASOK war zum Teil eine Nutznießerin dieses Versagens. Androulakis gab sich in seiner Sprache gemäßigter, seine Partei hat einige Initiativen der Regierung unterstützt und die Sozialdemokraten haben versucht, in der Opposition konstruktiv zu sein. Die PASOK bleibt jedoch eine kleine und instabile Partei. Man vergisst leicht, dass sie bei den Wahlen 2009 fast 44 Prozent der Stimmen erhielt, bevor die griechische Schuldenkrise ausbrach und ihre Unterstützung bröckelte. Obwohl die Sozialdemokraten über ein umfangreiches landesweites Netzwerk verfügen – ein Erbe ihrer glorreichen Jahre als Regierungspartei – hat die PASOK nach mehr als einem Jahrzehnt geringer Unterstützung nur noch sehr begrenzte Ressourcen.

Tsipras hat in den letzten vier Jahren gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, innerhalb der Linken einigend zu wirken.

Die Herausforderung, vor der SYRIZA und PASOK stehen, ergibt sich aus der Frage, wie sie aus einer sehr schwachen Position heraus den Teil des griechischen politischen Spektrums vertreten können, der von der Mitte bis zur Linken reicht. Eine Möglichkeit wäre, dass sich die beiden Parteien annähern. Dies wird äußerst schwierig sein, wenn Tsipras der Vorsitzende von SYRIZA bleibt. Er sorgte für eine Zeit großer Spannungen zwischen den beiden Parteien, und viele in der PASOK sind nicht bereit, ihm zu verzeihen. Außerdem hat Tsipras in den letzten vier Jahren gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, innerhalb der Linken einigend zu wirken. Wenn er abgelöst wird, könnte es eine Chance geben, die Beziehungen zur PASOK zu verbessern, aber vieles wird von der neuen Führungsfigur abhängen.

Wenn SYRIZA und PASOK sich in den nächsten vier Jahren nicht annähern, besteht die andere Möglichkeit darin, dass eine der beiden Parteien die andere ablöst. Nach dem Ergebnis vom 21. Mai scheint es wahrscheinlicher zu sein, dass die PASOK den Sieg davontragen wird. Der Stimmenanteil von SYRIZA bei den nationalen Urnengängen ist seit ihrem Wahlsieg mit 36 Prozent im Januar 2015 rückläufig. Diesen Abwärtstrend nach dem 25. Juni umzukehren, wird eine große Aufgabe für Tsipras oder seinen Nachfolger sein. Allerdings stellt sich die Frage, ob der PASOK-Vorsitzende Androulakis, der noch nie als Abgeordneter in Griechenland tätig war, das nötige politische Gewicht, das persönliche Charisma, die politische Vision hat – und nicht zuletzt ein Team, das fähig ist, die Wachablösung erfolgreich durchzuführen.

Die nächsten vier Jahre werden für Griechenland entscheidende Herausforderungen in Bereichen wie Wirtschaft, Geopolitik, Migration und Umwelt bringen. Die Sozialdemokratie in Griechenland wird einen Weg finden müssen, an ihren Aufgaben zu wachsen und eine glaubwürdige politische Alternative zu präsentieren. Ansonsten wird Mitsotakis dominieren, wie er es in den letzten vier Jahren getan hat.

Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer

Nick Malkoutzis ist Gründer und Herausgeber von MarcoPolis, einer englischsprachigen Informationsplattform für politische und wirtschaftliche Analysen zu Griechenland mit Sitz in Athen.

- ANZEIGE -

Related Posts

Politik: Despotendämmerung

Politik: Despotendämmerung

Karin Büchel: Kein Tag ohne Luzie

Karin Büchel: Kein Tag ohne Luzie

Nothelfer in Not

Nothelfer in Not