Krieg der Likes

Peter W. Singer erklärt, wie sich die Schlachten der Zukunft entscheiden und warum wir alle zur Waffe werden.

Im Internet sind Informationen längst selbst zur Waffe geworden.

In Ihrem in Kürze erscheinenden Buch „LikeWar“ beschäftigen Sie sich damit, wie die sozialen Medien zu Waffen werden, und erörtern, wie das Internet Krieg und Politik verändert. Können Sie den wichtigsten Trend beschreiben?

Vor etwa 25 Jahren entdeckten Forscher den sogenannten „Cyberwar“. Computernetzwerke entstanden gerade erst und gewannen rasch an Bedeutung. Sie wurden zunehmend gehackt – der Cyberwar. Jetzt wird uns allmählich klar, dass dieser Krieg einen Zwilling hat. Ich nenne ihn „LikeWar“. Hier sind es die Informationen und die Menschen in den Netzwerken, die gehackt werden. Mein Buch beginnt mit einigen frühen Beispielen, zuvor undenkbaren Vorgängen, die das Ergebnis dieser Veränderung sind: von Donald Trumps erstem Tweet über einen Hashtag des IS, der bei der Eroberung Mosuls half, indem er eine Truppenstärke der Terrormiliz suggerierte, die es in der Realität nicht gab und so Panik bei den Verteidigern auslöste bis hin zu einem YouTube-Video von Chicagoer Gangstern, das einen Bandenkrieg nach sich zog. Es scheint, als hätten all‘ diese Beispiele wenig miteinander zu tun. Aber sie alle veranschaulichen, wie sehr die sozialen Medien Nachrichten, Politik und Krieg beeinflussen. LikeWar hat alles verändert – angefangen davon, was man tun muss, um zu „gewinnen“ bis hin zu unseren Ansichten über die wichtigsten Probleme in der Welt. Und das ist erst der Anfang. Alles, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist nur ein Vorgeschmack dessen, was noch auf uns zukommen wird.

Sie argumentieren, dass nicht nur das Internet Kriege verändert habe, sondern Kriege auch das Internet verändern. Können Sie kurz ausführen, was da passiert?

Das Internet, einst ein lockerer und luftiger Raum für persönliche Kontakte, hat sich in ein Nervensystem des modernen Handels verwandelt. Zudem ist es zu einem Schlachtfeld mutiert, auf dem die Informationen selbst zur Waffe geworden sind.

So wesentlich, wie das Internet für die Wirtschaft und das Sozialleben geworden ist, so unabdingbar ist es jetzt für das Militär, für demokratische wie autoritäre Regierungen, für Aktivisten sowie für Spione und Soldaten. Sie alle nutzen es, um Kriege zu führen und Kampagnen zu fahren, die keine klaren Grenzen haben. Und bemerkenswerter Weise bedienen sich alle derselben Taktiken: Sie haben es alle auf uns abgesehen. Mit anderen Worten: Die ranghöchsten Rekrutierer des IS und Taylor Swift arbeiten auf haargenau die gleiche Weise und sind auf der Jagd nach genau demselben Publikum!

Welche Rolle spielen große Technologieunternehmen wie Facebook und You Tube im LikeWar? Welchen Einfluss haben sie?

LikeWar bedeutet auch, dass sich die Rolle dieser Unternehmen, die das Internet bestimmen, verändert hat. Sie verbinden uns nicht mehr nur, sie legen jetzt zudem die Regeln des Online-Krieges fest. Das beeinflusst alles, nicht zuletzt auch den Ausgang von Wahlen und Schlachten. You Tube beispielsweise wurde ursprünglich von der Idee inspiriert, ein Bild von Janet Jacksons Brustwarze zu ergattern. Es war die Möglichkeit, unter Umgehung der Zensur Videos zu teilen. Jetzt muss sich das Unternehmen damit beschäftigen, wie es alles Erdenkliche durch Reglementierungen bändigen kann – von Neonazis bis hin zu russischen Informationsoperationen. Die Folgen der Entscheidungen einer kleinen Zahl von Menschen könnten kaum gewaltiger sein. Hätte Mark Zuckerberg beispielsweise Reformen bei Facebook schon 2016 eingeführt und nicht erst 2018, als der Schaden schon angerichtet war, würde heute vermutlich jemand anders das Amt des US-Präsidenten bekleiden. Das Brexit-Votum wäre möglicherweise anders ausgefallen in einer Welt, in der Bots verboten und die Algorithmen die Nachrichten anders steuern würden. Verschiedene Terroranschläge wären nicht passiert, je nachdem, welcher Nachrichtenaustausch gerade zugelassen war oder nicht.

Unter welchen Voraussetzungen kann man in dieser Umgebung „gewinnen“? Haben staatlich gelenkte Ansätze, wie sie in vielen autoritären Staaten praktiziert werden, einen Vorteil gegenüber den privat geführten Modellen aus der westlichen Welt im Stile des Silicon Valley?

Um im LikeWar zu gewinnen, muss man seine Botschaft viral gehen lassen, d.h. ihr schnell weite Verbreitung im Internet verschaffen. Dies gilt für eine Wahl, eine Schlacht oder im Marketingkrieg für ein neues Album gleichermaßen. Denn Beachtung schafft Macht und setzt Agenden.

Es gibt zahllose Wege, dieses Ziel zu erreichen und dabei die Kontrolle zu behalten. Während die Pioniere des Internet noch behaupteten, das Internet würde uns alle befreien, ist es Regierungen und Firmen gelungen, diese einst befreiende Kraft der Social-Media-Revolution vor den eigenen Karren zu spannen und zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Es gibt Modelle der alten Schule, etwa in der Türkei, wo aus Social-Media-Aktivitäten wichtige Informationen über Dissidenten extrahiert und system-kritische Inhalte blockiert werden, die sich ansonsten rasant im World-Wide-Web verbreiten würden. Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, wie sie in China existieren. Dort wird ein sogenanntes Sozialkredit-System aufgebaut, bei dem verschiedene „Bürgerdaten“ gespeichert werden – von Online-Kommentaren über die Performance im Job bis hin zur Zeit, die man mit Computerspielen verbringt. Auf dieser Basis wird ein Punktesystem erstellt, das die „Vertrauenswürdigkeit“ der Person bewertet. Der Punktestand entscheidet wiederum über vieles, z.B. über Erwerbsaussichten und kann selbst in der Partnervermittlung wirksam werden. Das Faszinierende ist, dass im Westen mit „Big Data“ dieselbe riesige Datenmenge gesammelt wird, diese aber in den Händen einer kleinen Zahl von Unternehmen ist, die daraus Profit für sich selbst schlagen.

Ist die Bedrohung, die angeblich von sozialen Medien als Waffen ausgeht, nicht etwas überzeichnet? Gab es seinerzeit nicht ähnliche Bedenken, als die Druckerpresse aufkam? Was bedeutet es, wenn Viralität den Wahrheitsgehalt in den Schatten stellt? Und ist die Wahrheit in Kriegszeiten nicht schon immer auf der Strecke geblieben?

Na ja, ich würde das Gegenteil behaupten. Die Druckerpresse war historisch eine Riesensache. Sie hat so vieles mit sich gebracht und befeuert: von Massenliteratur über Martin Luther und die Reformation bis hin zum Dreißigjährigen Krieg. Und nicht zuletzt hat die Druckerpresse auch das Nachrichtengeschäft ins Leben gerufen. Statt zu übertreiben, wie sehr diese Erfindung die Welt veränderte, neigen wir eher dazu, ihre Bedeutung herunterzuspielen. Und nun erleben wir zu unseren Lebzeiten genauso eine wirkungsmächtige Neuerung: Eine neue Kommunikationstechnologie, die nicht nur unser Sozialleben prägt, sondern auch unser Wahlverhalten und unsere Kriegsführung beeinflusst.

Also ja, wir sehen ein Muster, das einen Teil der Vergangenheit widerspiegelt, und zwar einen mit einer enormen historischen Bedeutung. Es stimmt, dass die Wahrheit in Kriegszeiten auch früher oftmals auf der Strecke blieb. Aber es kommen jetzt gefährliche Entwicklungen dazu: von „alternativen Fakten“, wie Trumps Berater das Konzept nannten (was buchstäblich ein Angriff auf die Vorstellung von Wahrheit selbst ist) bis hin zu „Deepfakes“, die das Reale und Gefälschte auf eine Art und Weise verschmelzen, dass man überhaupt nicht mehr weiß, was echt und was gefälscht ist. Um die Kontrolle zu behalten, greifen das Militär und Marketingfirmen auf noch mehr künstliche Intelligenz zurück.

Was kann man dagegen tun – auf politischer und individueller Ebene? Was können Durchschnittsbürger tun, um auf diesem neuen Online-Schlachtfeld nicht zu Bauernopfern zu werden?

Wie bei allen Problemen in der realen Welt gibt es auch hier nicht eine einzelne Lösung. Wir müssen uns von der Regierungsebene, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit her annähern. Für Regierungen heißt das: Genau wie sie in den letzten Jahrzehnten Maßnahmen ergriffen haben, als ihnen die von der Cyberwelt ausgehenden Gefahren bewusst wurden, müssen sie das jetzt mit dem LikeWar tun. Dabei sind die USA ein Beispiel dafür, was man genau NICHT tun sollte. Aber es gibt gute Beispiele wie Estland, das seine Menschen und seine Demokratie vor neuen externen und internen Gefahren schützt.

Die Unternehmen müssen sich klarmachen, dass ihre Erzeugnisse zu Schlachtfeldern geworden sind und dass sie mehr Verantwortung für den Schutz ihrer Kunden übernehmen müssen – also für uns und wir sollten das auch von ihnen einfordern. Außerdem dürfen sie nicht immer erst im Nachhinein reagieren. Sie müssen rechtzeitig Sorge dafür tragen, dass über ihre Netzwerke kein Unheil angerichtet wird, sei es durch Extremismus oder durch Operationen der Informationskriegführung. Sie können nicht länger Unwissenheit vorschützen.

Und schließlich müssen wir als Kunden und Bürger cleverer werden, insbesondere darin, wie wir uns in einer Welt voller „Likes“ und Lügen bewegen. Bei Kartenspielen gibt es den Spruch: Weiß man nicht, wer der Verlierer am Tisch ist, ist man es selbst. Zudem müssen wir selbst mehr Verantwortung für unsere eigene Rolle in all dem übernehmen. Man kann selbst bestimmen, ob über das eigene Netzwerk von Freunden und Familie Fakten oder Lügen, Hass oder Freundlichkeit verbreitet und anschließend über das Web in die Welt getragen werden. In LikeWar ist man, was man teilt, und das, was man teilt, zeigt, wer man ist.

 

Peter W. Singer ist ein US-amerikanischer Wissenschaftler und Experte für moderne Kriegsführung. Er berät die New America Foundation in Strategiefragen und wird von Foreign Policy in der 100 Global Thinkers List benannt.

 

 

Titelfoto: © TE SubCom/Arctic Cable Company

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