Forschende der Universität Regensburg zeigen, wie das HIV-Virus die Kontrolle übernimmt. Die Studie liefert neue Möglichkeiten zur Entwicklung innovativer HIV-Therapien.

Regensburg (obx) – HIV-1 ist ein Meister der Tarnung und Täuschung. Das Virus, das für AIDS verantwortlich ist, kapert die menschlichen Zellen mit einer raffinierten Strategie: Es nutzt die zelluläre Maschinerie des Wirts für seine eigene Vermehrung – und schaltet dabei gezielt Abwehrmechanismen aus. Ein Forschungsteam der Universität Regensburg hat jetzt neue Einblicke in diesen Prozess gewonnen. Die Ergebnisse liefern nicht nur faszinierende Details darüber, wie HIV-1 seine Proteine produziert, sondern könnten auch neue Wege zur Bekämpfung des Virus eröffnen.
© Gerd Altmann auf Pixabay.com

Virale Hijacker wie HIV-1 können keine eigenen Proteine herstellen. Stattdessen schleusen sie ihre RNA in die Wirtszellen ein und kapern den sogenannten Translationsprozess, bei dem mRNA in Proteine übersetzt wird. „In dieser Studie haben wir Ribosomen-Profiling, RNA-Sequenzierung und RNA-Strukturanalysen kombiniert. Unser Ziel war es, die virale und zelluläre Translation sowie Pausen der viralen Vermehrung mit bisher unerreichter Detailtiefe zu kartieren“, erklärt Prof. Neva Caliskan, Leiterin der Studie und Direktorin der Abteilung für Biochemie III an der Universität Regensburg.

Das Team kombinierte Ribosomen-Profiling, RNA-Sequenzierung und RNA-Strukturanalysen, um eine detaillierte Karte der viralen und zellulären Translation zu erstellen – präziser als jemals zuvor. Und die Ergebnisse zeigen: HIV-1 hat einige unerwartete Tricks im Repertoire.

Besonders überraschend war die Entdeckung von bisher unbekannten genetischen Elementen in der viralen RNA – den sogenannten uORFs (upstream open reading frames) und iORFs (internal open reading frames). Diese „versteckten Genfragmente“ regulieren die Produktion viraler Proteine auf raffinierte Weise.
Doch das ist nicht alles: Die Forschenden entdeckten eine komplexe RNA-Struktur in einer kritischen Region des Virus, die für die Produktion zweier Schlüsselproteine – Gag und Gag-Pol – verantwortlich ist. „Diese RNA-Faltung steuert die Balance zwischen den beiden Proteinen und beeinflusst direkt die Effizienz der viralen Vermehrung“, erklärt Caliskan.
Und genau hier setzt eine vielversprechende Erkenntnis an: Gezielte Eingriffe in diese RNA-Struktur könnten die Virusvermehrung drastisch reduzieren. Das Team zeigte, dass der Einsatz spezieller Antisense-Moleküle die Leserasterverschiebung – einen für HIV-1 essenziellen Mechanismus – um fast 40 Prozent senken kann. „Das ist ein neuer, vielversprechender Angriffspunkt für zukünftige Medikamente“, betont Caliskan.
Eine weitere brisante Erkenntnis: HIV-1 priorisiert seine eigenen Proteine auf Kosten des Wirts. „Interessanterweise zeigte unsere Analyse, dass die HIV-1-mRNAs zwar während der gesamten Infektion effizient in Proteine translatiert werden, das Virus aber die Proteinproduktion des Wirts unterdrückt, insbesondere zu Beginn der Translation“, erklärt Prof. Redmond Smyth, einer der Mitautoren der Studie und Forscher am CNRS in Straßburg. Besonders clever: Das Virus stört gezielt den Beginn der Proteinproduktion, um seine eigenen Bedürfnisse durchzusetzen. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass wichtige Abwehrreaktionen des Wirts blockiert werden – ein weiterer raffinierter Schachzug von HIV-1.
Doch das Virus trickst nicht nur bei der Proteinproduktion – es steuert auch, wie die Ribosomen (die Proteinfabriken der Zelle) arbeiten. Die Forschenden entdeckten, dass Ribosomen gezielt an bestimmten Stellen der HIV-RNA kollidieren. „Diese Kollisionen sind nicht zufällig, sondern streng regulierte Pausen, die möglicherweise beeinflussen, wie Ribosomen mit nachgelagerten RNA-Strukturen interagieren“, erklärt Prof. Florian Erhard, Mitautor der Studie und Experte für Computational Immunology.
Die Studie liefert nicht nur eine detaillierte Karte der viralen Translation, sondern eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten zur Entwicklung innovativer HIV-Therapien. Denn wer die „Schwachstellen“ von HIV-1 kennt, kann das Virus vielleicht irgendwann mit seinen eigenen Waffen schlagen.

„Wenn wir besser verstehen, wie das Virus unsere Zellen geschickt manipuliert, können wir innovative Therapien entwickeln, die eines Tages den Spieß umdrehen und das Virus selbst austricksen könnten“, sagt Prof. Neva Caliskan. Ein neuer Hoffnungsschimmer im Kampf gegen HIV? Möglich. Die Forschenden haben gezeigt, dass das Virus nicht unbesiegbar ist – man muss nur wissen, wie es tickt.

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