Weirichs Klare Kante
Ampel vor stürmischer See
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) scheint eine Vorahnung von vorweihnachtlicher stürmischer See für die „Ampel“-Koalition zu haben. Zu dem in diesen Tagen auf die Zielline zusteuernden Bundeshaushalt für das kommende Jahr bemühte er in der Etatdebatte einen Vergleich mit dem größten Unglück der Seefahrt, dem Untergang des Passagierdampfers „Titanic“, der auf seiner Jungfernfahrt mit einem Eisberg kollidiert war. Man habe es – so Lindner – nicht nur mit einem drohenden „Eisberg, sondern mit einer Reihe von Eisbergfeldern“ zu tun, die eine Änderung der Haushaltspolitik dringend erforderlich machten.
Die ernüchternde, von der Wirtschaftsflaute und Konjunkturschwäche geprägte Steuerschätzung für Bund, Länder und Gemeinden zeigt, dass der Berliner Handlungsspielraum extrem begrenzt ist. Am 16.November geht es ums Eingemachte, dann trifft sich der Haushaltsausschuss des Bundestages zur sogenannten „Bereinigungssitzung“, um die endgültige Verabschiedung mit Schlussabstimmung am 1. Dezember vorzubereiten.
Während Lindner die Aufgabe darin sieht, „klug hauszuhalten und zu priorisieren“, erliegen manche seiner Partner der Verlockung, einfach munter weitere Schulden zu machen, neue „Sondervermögen“ einzurichten. Ein „Brückenstrompreis“ soll der Industrie die verfahrene Energiepolitik erleichtern, die auf 7 Prozent ermäßigte Mehrwertsteuer verlängert werden.
Lindner muss sich mit den Folgen überzogener Sozialpolitik herumschlagen. Das zum Jahreswechsel um zwölf Prozent erhöhte Bürgergeld schlägt schwer ins Kontor. Außerdem sieht sich der Minister in der Verantwortung für eine Anhebung des Grundfreibetrags.
Wir steuern auf eine ernst zu nehmende, strukturelle Wirtschaftskrise mit einer Überdehnung der Schuldenfinanzierung zu. Für den Bundesrechnungshof ist die Dynamik der Neuverschuldung beispiellos. Sie betrug in den vergangenen beiden Jahren 850 Milliarden Euro! Kommende Generationen müssen den Schuldenberg von 2,1 Billionen Euro abtragen.
Die Haushaltsberatungen können freilich vom Bundesverfassungsgericht am Tag vor der Bereinigungssitzung über den Haufen geworfen werden. Dabei geht es um die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von 60 Milliarden Euro ungenutzter Corona-Hilfen, die in einen Klima-und Transformationsfonds umgeleitet wurden.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.