Von Günter Mücxhler

Günter Müchler

Schön wär’s, der 23. Februar wäre schon morgen. Weihnachten hätten wir dann leider verpasst, aber auch die Bilder von der Amtseinführung des president elect, Donald Trump. Und auf die möchten wir gern verzichten, genauso wie auf das Erlebnis eines Wahlkampfes, der höchst unerfreulich zu werden verspricht.

Unerfreulich war schon der Auftakt, und bei dieser Linie dürfte es bleiben, bis der Neuwahltermin erreicht ist. Vorausgesetzt, die Papiermühlen der Bundeswahlleiterin haben bis dahin geliefert. Den schiefen Ton hat der Kanzler gesetzt. Es hätte ihm freigestanden zu sagen, wir haben es versucht, aber die Gemeinsamkeiten haben nicht gereicht. Stattdessen hat er es vorgezogen, ein Nibelungen-Schauspiel auf die Bühne zu bringen, mit ihm selbst in der Hauptrolle als gutgläubiger Jung-Siegfried und mit Lindner als heimtückischer Hagen.

Staatsmännisch souverän war das nicht, ein Beitrag zur politischen Kultur auch nicht. Bemerkenswert ist Scholz‘ zähe Realitätsverweigerung. Jeder Politiker will recht getan und erfolgreich gearbeitet haben. Er will die Deutungshoheit über sein Handeln verteidigen und seinen Nachruhm retten. All das ist legitim. Doch sollte ein erfahrender Politiker wie der Kanzler wissen, wann es zu spät ist. Die Zeichen an der Wand sind überdeutlich; sie sind es seit langem. Scholz selbst im Umfragetief, seine Regierung in der Selbstblockade und kein Licht im Tunnel: Das war die Lage das ganze Jahr über, und nichts deutete auf eine Wende zum Besseren hin, als die Ampel am Tag des Zorns, dem 6. November, auseinanderbrach. Hatte Christian Lindner eine andere Wahl? Gemeinsam untergehen nach Nibelungenart? Der Nibelungen Not ist kein Heldenepos. Stumpfsinnig wie Lemminge zogen die Burgunder zur Schlachtbank. Zum Heldentum gehört wenigstens ein Fünkchen Verstand. 

Koalitionen sind Zweckveranstaltungen auf Zeit. Brechen sie auseinander, ist das keine Katastrophe. Der Bundespräsident hat das den Beteiligten ins Stammbuch geschrieben. Aber offenbar geht es in Deutschland nicht ohne Verratstheorie. Die Niederlage muss, wenn sie da ist, durch Heimtücke zustande gekommen sein. Auch 1982, beim Exitus der sozialliberale Koalition, suchte die SPD die Ursache nicht bei sich. Dabei hatte sie sich im Streit um die Nachrüstung längst von ihrem Kanzler entfernt. Helmut Schmidt war ein König ohne Kleider. Aber lieber man log sich in die Tasche. Eine Dolchstoßlegende wurde erfunden. Der damalige Regierungssprecher Klaus Bölling verfasste in Nachtarbeit ein Tagebuch, indem die FDP moralisch enthauptet wurde. Helmut Schmidt war sich nicht zu schade, dem Ex-Partner Hans-Dietrich Genscher und seinen Liberalen das „Wegharken“ anzudrohen. Die Fiebertemperaturen schossen hoch. Doch am Ende hatte die FDP das rettende Ufer erreicht, während die Sozialdemokraten für 16 lange Jahre auf die Oppositionsbank mussten.

Für Lindner ist 1982 die historische Parallele, die ihn ermutigt hat, den Schritt in die Scheidung zu tun. Auch Scholz besitzt solch ein Zuversicht spendendes Narrativ; es ist die Erzählung vom staunenswerten Aufstieg aus scheinbar hoffnungsloser Lage, der ihm 2021 zu einer knappen Kanzlermehrheit verhalf. Aber man steigt nicht zweimal in denselben Fluss. Die Wähler hatten drei Jahre Zeit, Scholz‘ Fähigkeit als Schwimmer zu beobachten. Es hat sie nicht beeindruckt.

Die Sozialdemokraten sind in Schockstarre verfallen. Der Beifall, den der Kanzler nach dem Rausschmiss der FDSP in seiner Bundestagsfraktion erhielt, hat nicht lange vorgehalten. Die Abgeordneten fürchten um ihre Mandate. Hunderten gut bezahlter Hilfskräfte droht der Jobverlust. Sie machen ihren MdB‘s jeden Tag die Hölle heiß und müssen feststellen, dass der 6. November von Kanzler und Parteiführung beileibe nicht als Befreiungsschlag genutzt wurde. Stattdessen folgte Fehler auf Fehler. Der erste war, dass der Kanzler seinen in der Manier eines Sonnenkönigs verfügten Neuwahltermin nicht durchsetzen konnte. Der zweite, dass die Parteiführung die anschwellende Kandidatendiskussion in den eigenen Reihen nicht rechtzeitig erkannte oder nicht erkennen wollte.

Neuer Schaden ist angerichtet. Das Hin und Her seit dem Aus der Ampel hat das Erscheinungsbild der SPD noch mehr eingetrübt. Mittlerweile fällt es angesichts der Zahlen schwer, über das Thema SPD und Kanzlerkandidatur in einem Kontext zu diskutieren, der außerhalb von Wolkenkuckucksheim liegt. Formal ist die K-Frage durch den Verzicht von Verteidigungsminister Boris Pistorius geklärt. Das Odium, dem eigenen, von seiner Berufung unverrückbar überzeugten Mann im Regen stehen zu lassen und ihm den Dolch des Verrats in den Rücken zu rammen, wollten am Ende weder Pistorius noch die Führungsleute der Partei auf sich ziehen. Lieber tut sie, was ihr so rasch keiner nachmachen wird: Sie verbannt den aktuell beliebtesten Politiker Deutschlands, bei dem es sich um den Genossen Pistorius handelt, auf die Bank, und geht ins Rennen mit dem aktuell unpopulärsten deutschen Politiker, dem Genossen Scholz. Es wird nicht einfach sein, diese Paradoxie der kämpfenden Truppe zu erklären.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.    

 

    

 

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