Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

„Fördern und fordern“ heißt eigentlich die Devise für die Gewährung des seit Jahresbeginn gesetzlich garantierten Bürgergeldes. An sich ist dieser Begriff eine semantische Fehlleistung, könnte er doch als eine Jedermanns-Zuwendung ohne besondere Gegenleistung missverstanden werden. Vor allem die Sozialdemokraten wollten mit diesem verschleiernden Sprachgebrauch ihr „Hartz-IV“-Trauma überwinden und aus ihrer Sicht diskriminierende Beschreibungen wie „Stütze“ vermeiden.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat mit 175,6 Milliarden Euro den größten Einzeletat im 476,8 Milliarden Euro umfassenden Bundeshaushalt, dem nicht zu Unrecht so genannten Schicksalsbuch der Nation. 25,6 Milliarden Euro macht dabei das Bürgergeld aus, das Menschen erhalten, die das Existenzminimum nicht alleine durch eigene Arbeit sichern können. Neben den Regelsätzen kann es zusätzliche Sozialleistungen geben – etwa fürs Wohnen und Heizen.

Durch den hohen Ausgabenzuwachs einerseits und den Zwang zum Sparen andererseits ist das neue Bürgergeld ins Gerede gekommen. Der Unions-Opposition, die das Bürgergeld bei einer Regierungsübernahme wieder abschaffen will, ist der Abstand zwischen dem durch Arbeit erwirtschafteten Lohn und der staatlichen Sozialleistung vor allem bei niedrigen und mittleren Einkommensgruppen zu gering.

Lohnt sich Arbeit überhaupt noch? Diese Frage stellte sich ein Wirtschaftskongress der CDU/CSU, bei dem Unternehmer berichteten, in ihren Betrieben hätten manche Arbeitnehmer unter Hinweis auf das Bürgergeld und wohl in Erwartung möglicher Erlöse durch bar ausgezahlte Schwarzarbeit gekündigt. Empörung löste eine Werbekampagne eines Berliner Job-Centers mit der besonderen Herausstellung der Reize des Bürgergeldes aus.

Der „Vielfraß Sozialstaat“ entwickelt sich zum Standortrisiko. Die Politik aller Parteien, Große Koalition wie Ampel, haben das Land in ein Steuer-und Transfersystem von immer mehr Sozialleistungen geführt, das in der Konsequenz die Frage aufwirft, ob mit dem Geld der Steuerzahler Arbeit nicht unattraktiv gemacht wird. Eine Reform des Sozialstaates ist dringend geboten.

Das sehen auch 95 Abgeordnete des „Seeheimer Kreises“, einer Vereinigung eher konservativer Sozialdemokraten, so. Sie wollen die Effizienz im System steigern, Bürokratie abbauen, Kosten sparen, im „Dschungel der Sozialgesetzbücher aufräumen“. Gut so.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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