Sehnsucht nach autoritärer Ordnung

Warum die kühlen Strukturen der Demokratie einen emotionalen Anstrich benötigen, um dem erstarkenden Autoritarismus Einhalt zu gebieten.

Donald Trump © Gerd Altmann auf Pixabay.com

Amerika hat gewählt, die Demokraten dieser Welt sind erleichtert, und doch hat der Wahlausgang die liberalen Eliten abermals in einen Schockzustand versetzt. Der Amtsinhaber, der in den letzten vier Jahren keine Gelegenheit ausgelassen hat, seine Verachtung für demokratische Spielregeln unter Beweis zu stellen, hat bei einer Wahlbeteiligung in Rekordhöhe nahezu die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinen können.

Dabei bestand spätestens seit Trumps rücksichtslosem Umgang mit seiner Corona-Erkrankung und seinem choreographisch an Mussolini gemahnenden Auftritt auf dem Balkon des Weißen Hauses die begründete Hoffnung, dass sich weite Teile seiner Gefolgschaft von ihm abwenden und so den Weg für einen klaren Sieg Joe Bidens ebnen würden. Nun aber inszeniert sich Trump vor dem Hintergrund seiner knappen Niederlage als Opfer einer Verschwörung der Demokraten, die ihm durch gefälschte Stimmzettel seinen wohlverdienten Sieg streitig machen wollen, während sein ältester Sohn als potentieller Thronfolger dazu aufruft, in den „totalen Krieg“ gegen das Wahlergebnis zu ziehen.

So erschütternd dieses Schauspiel auch ist, so wenig vermag es zu überraschen. Schließlich hatte Trump bereits 2016 angekündigt, das Ergebnis der damaligen Präsidentenwahl nur anzuerkennen, wenn er aus der Wahl als Sieger hervorginge. Und so suchen linksliberale Kommentatoren händeringend nach Erklärungen dafür, dass beinahe die Hälfte der Wähler ihre Stimme einem Amtsinhaber geschenkt hat, der die Fundamente der amerikanischen Demokratie vor aller Augen mit Füßen tritt.

Vielen fällt dabei nicht Besseres ein, als die Ursache der Misere in einer Unfähigkeit der Wähler zu verorten, Trumps faschistoiden Angriff auf die Grundfesten der amerikanischen Demokratie zu durchschauen. Wer Trump wählt, so die verzweifelt anmutende Diagnose, ist außerstande, Trumps wahre Absichten zu erkennen. Diese Erklärung aber beruht nicht nur auf einer Unterschätzung der intellektuellen Kapazitäten weiter Teile der Wählerschaft. Sie überschätzt auch den Wert, den die Demokratie für viele Wähler (und Nichtwähler) hat.

Vielen fällt dabei nicht Besseres ein, als die Ursache der Misere in einer Unfähigkeit der Wähler zu verorten.

Zwar gilt die Demokratie den liberalen, aufgeklärten, selbstbestimmungsliebenden Eliten der westlichen Welt als einzige akzeptable Staatsform, doch wer dieser normativen Orientierung Universalität unterstellt, verfällt bloßem Wunschdenken. Ein Großteil der Bevölkerung westlicher Industriestaaten mag grundsätzlich mit den etablierten demokratischen Strukturen zufrieden sein. Doch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Demokratie der überragenden Mehrheit als alternativlose Staatsform gilt, die um keinen Preis zur Disposition gestellt werden darf.

Schließlich erscheinen demokratische Ordnungen mit ihren hohen Anforderungen an Eigenverantwortlichkeit, Kompromissbereitschaft und Fähigkeit im Umgang mit Ungewissheit nicht wenigen Menschen als unbequem und überkomplex, während autoritäre Bewegungen mit ihren Scheinangeboten simpler Lösungsansätze, ihren übersichtlichen Freund-Feind-Schemata und ihrer affektiven Kommunikation versprechen, den Einzelnen von der Last der Verantwortung zu befreien und ihm kognitive Orientierung und emotionale Einbindung zu bieten.

Dass der Wunsch, in einem demokratischen Staat zu leben, nicht allen Menschen gleichermaßen in die Wiege gelegt wurde, zeigt nicht zuletzt ein Blick nach China, wo sich eine immer besser ausgebildete Bevölkerung seit Jahrzehnten in höchstem Maße mit einem autoritären Regime einverstanden zeigt, das für materiellen Wohlstand sorgt und durch Zelebrieren der Größe der chinesischen Nation normativen Halt bietet. Galt es China-Beobachtern lange als bloße Frage der Zeit, bis aus den Kehlen der wachsenden chinesischen Mittelschicht der Ruf nach Demokratie erklingen würde, haben sich die meisten Beobachter mittlerweile von dieser Erwartung verabschiedet.

Und auch in anderen Teilen der Welt zeigt sich, dass demokratische Strukturen keine notwendige Voraussetzung für politische Zufriedenheit sind. So genießt Putins Regime selbst angesichts immenser wirtschaftlicher Probleme die Zustimmung der Mehrheit der russischen Bevölkerung.

Dass der Wunsch, in einem demokratischen Staat zu leben, nicht allen Menschen gleichermaßen in die Wiege gelegt wurde, zeigt nicht zuletzt ein Blick nach China.

In Anbetracht des amerikanischen Wahlergebnisses liegt es nun im Interesse der Verfechter der Demokratie, das Votum der Anhänger autoritärer Bewegungen nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa ernstzunehmen und nicht länger darauf zu setzen, dass sich als starke Männer inszenierende Gestalten verschwinden werden, sobald sich ihre wahren Absichten herumgesprochen haben. Wer sich der Sehnsucht nach autoritärer Ordnung stellt, kann sich nicht länger auf den Versuch beschränken, abtrünnige Wähler durch bloße materielle Angebote zurückzugewinnen.

Zwar lassen sich die hohen Anforderungen der Demokratie an jeden Einzelnen nicht über Bord werfen, ohne das System zu zerstören. Doch ist es möglich, durch Charisma, affektive Kommunikation und kreative Ideen Angebote zur Orientierung und Identifikation zu unterbreiten, die im Gegensatz zu den Offerten der Autoritären nicht Abgrenzung und Wut, sondern Gemeinschaftssinn und Zuversicht in den Mittelpunkt stellen und so die demokratische Bürde erleichtern.

Demokratische Parteien sollten sich bei der Auswahl ihres Spitzenpersonals daher endlich wieder vor Augen führen, dass charismatische Führung kein Alleinstellungsmerkmal autoritärer Regime ist, sondern dass auch Demokratien Politiker benötigen, die es verstehen, Wähler zu begeistern und sie so zu politischem Engagement zu motivieren.

Gleichzeitig sollte es bei der Entwicklung politischer Programme oberstes Gebot sein, an die Stelle der bloßen Verwaltung von Problemen die Entwicklung von Ideen zu einer Neugestaltung des sozialen Miteinanders treten zu lassen. Denkbar wären in diesem Zusammenhang zum Beispiel Experimente mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, die Entwicklung klimaneutraler Städte mit Orten für konsumfreie Begegnungen oder die Förderung gemeinschaftsstiftender Wohnprojekte.

Dabei wäre es allerdings entscheidend, diese dem linken politischen Spektrum entspringenden Visionen so zu kommunizieren, dass sie auch Wähler ansprechen, die von Ängsten vor sozialem Abstieg und kultureller Entwurzelung geplagt werden. Denn nur wer diese Ängste ernstnimmt, vermag mehrheitsfähige Identifikationsangebote zu unterbreiten. Diese werden umso dringender benötigt, als die Sehnsucht nach normativen Wegweisern in einer von wachsender Komplexität und Ungewissheit geprägten Zeit weiter zunehmen wird. Soll der Autoritarismus im 21. Jahrhundert nicht zu neuen Höhenflügen ansetzen, ist es nun an der Zeit, die kühlen Strukturen der Demokratie mit einem emotionalen Anstrich zu versehen.

Sandra Heep ist Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft Chinas an der Hochschule Bremen. Zuvor war sie als Beraterin im G20-Projekt des Bundesministeriums der Finanzen und als Leiterin des Programms „Wirtschaftspolitik und Finanzsystem“ am Mercator Institute for China Studies tätig. An der Universität Trier promovierte sie über Chinas Rolle in der globalen Finanzarchitektur.

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