Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 06.10.2022
– 1 Ws 184/22 –

Haftbeschwerde wegen nicht ausreichender Termindichte erfolgreich

Das Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken hebt einen Haftbefehl wegen nicht ausreichender Termindichte auf und ordnet die Freilassung eines nicht rechtskräftig Verurteilten an.

©seppspiegl

Der Angeklagte hat sich seit dem 13. März 2020 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) in Untersuchungshaft befunden. Die Jugendkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat am 21. September 2020 wegen der Tatvorwürfe die zum Erlass des Haftbefehls geführt haben die Hauptverhandlung gegen den damals 17 jährigen begonnen. Am 2. August 2022 hat die Strafkammer des Landgerichts den nunmehr 19-jährigen Angeklagten in dieser Sache wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 3 Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) haben Revision gegen das Urteil eingelegt.

Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Anspruch auf beschleunigte Aburteilung nicht mehr vereinbar

Das Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken hat auf die Haftbeschwerde des Angeklagten den Haftbefehl aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet. Zur Begründung hat der 1. Strafsenat unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft sich infolge vermeidbarer, dem Angeklagten nicht zuzurechnender Verfahrensverzögerungen, die mit seinem u. a. im Rechtsstaatsprinzip verankerten Anspruch auf eine beschleunigte Aburteilung nicht mehr vereinbar seien, als unverhältnismäßig erwiesen habe. Der Beschleunigungsgrundsatz fordere bei absehbar umfangreichen Verfahren, in denen sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befinde, stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche. Die Verhandlungstage seien möglichst auszuschöpfen.

Verzögerung von insgesamt sechs Monate nicht hinnehmbar

Vorliegend sei in der mehr als 22 Monaten dauernden Hauptverhandlung lediglich an 57 Tagen verhandelt worden. An 20 dieser Verhandlungstage sei auch noch weniger als zwei Stunden verhandelt worden. Die dadurch eingetretene Verzögerung betrage insgesamt knapp sechs Monate (26 Wochen). Dieser Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz sei nach Auffassung des Senats auch vor dem Hintergrund des hohen Gewichts des staatlichen Strafanspruchs im vorliegenden Fall und unter Berücksichtigung der Überlegung, dass nach einer Verurteilung Verfahrensverzögerungen geringeres Gewicht beizumessen sei, nicht hinnehmbar.

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