Politik: Zwischen Hammer und Amboss

Im Wettstreit zwischen den USA und China bemüht sich Südkorea um einen Ausgleich. Für die Zukunft der internationalen Ordnung hat Seoul eigene Ideen.

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Seit seiner Unabhängigkeit 1945 erlebt Südkorea innerhalb der liberalen internationalen Ordnung eine Blütezeit. In dem US-geführten System ist das Land wirtschaftlich beachtlich gewachsen, hat sich politisch demokratisiert und kulturell weiterentwickelt. Grundpfeiler dieser regelbasierten Ordnung sind Liberalismus, die Förderung der Menschenrechte, das Völkerrecht, Kriegsprävention und ein offenes Wirtschaftssystem. Von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung ist jedoch die militärische Abschreckung, weshalb sich Südkorea aktiv an dem von den USA geführten Bündnissystem beteiligt. Asien ist natürlich eine Schlüsselregion in der Rivalität der Großmächte China und USA. Die Positionen dieser beiden geopolitischen Giganten werden die Zukunft der internationalen Ordnung in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. Doch was bedeutet die Rivalität dieser beiden Supermächte für Südkorea?

Während China die liberale internationale Ordnung eher reformieren als vollständig ersetzen will, verstehen die Vereinigten Staaten ihre Beziehungen zu China als strategischen Wettbewerb. Sie halten mit Blick auf die strategischen Interessen ein Nullsummenspiel in bestimmten Bereichen für unvermeidlich und sind der Meinung, China stelle mit seiner Leistungsfähigkeit und Entschlossenheit die Führungsrolle der USA infrage. China lehnt diese Auffassung eines Wettbewerbsverhältnisses wiederum ab und interpretiert die US-Politik als unfaire Containment-Strategie, die darauf abziele, Chinas Aufstieg zu behindern. Seoul hält den Wettbewerb zwischen den Großmächten in der heutigen internationalen Politik für alternativlos und betont, es müsse unbedingt verhindert werden, dass dieser Wettbewerb zu einem militärischen Konflikt eskaliert. Eine der größten Bedrohungen für die liberale Ordnung ist die Machtverteilung innerhalb dieser Ordnung. Obwohl sowohl die USA als auch China die Bedeutung einer regelbasierten Ordnung hervorheben, bleibt die Frage, wer diese Regeln bestimmt, weiterhin offen.

Obwohl sowohl die USA als auch China die Bedeutung einer regelbasierten Ordnung hervorheben, bleibt die Frage, wer diese Regeln bestimmt, weiterhin offen.

Um seine Interessen durchzusetzen, hat China die Idee einer „Zukunftsgemeinschaft der Menschheit“ ins Spiel gebracht und Initiativen wie die Globale Sicherheitsinitiative, die Globale Entwicklungsinitiative und die Globale Zivilisationsinitiative gestartet. Diese Vorstöße sollen ein Leitbild für globale Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und ideologische Rahmenkonzepte liefern. Obwohl sie in einer regelbasierten Ordnung verankert sind, beinhalten sie eine scharfe Kritik an der hegemonialen und unilateralen Führungsrolle der USA. China ist der Ansicht, dass es der liberalen internationalen Ordnung an Kohärenz fehle und dass die US-Außenpolitik gelegentlich deren Fundamente untergrabe, und weist auf die Verlogenheits- und Ineffektivitätsprobleme innerhalb des Liberalismus hin.

Südkorea dagegen verhält sich mit Blick auf eine möglicherweise im Entstehen begriffene Weltordnung unter chinesischer Führung zurückhaltend, räumt aber Führungsprobleme innerhalb der jetzigen Ordnung ein. Seoul will die bestehende liberale internationale Ordnung ergänzen und verändern durch die Festlegung von Normen, die seiner Philosophie zur Bewältigung aufkommender Probleme entsprechen. Gleichzeitig ist sich Südkorea bewusst, dass es ein partnerschaftliches Verhältnis zu China braucht. Zwischen den beiden Ländern gibt es momentan keine größeren bilateralen Konflikte, wie beispielsweise Territorialstreitigkeiten auf See. Vielmehr besteht in vielen Bereichen ein Bedarf an Kooperation – unter anderem mit Blick auf die Denuklearisierung Nordkoreas, die wirtschaftlichen Verflechtungen und den Umgang mit transnationalen Bedrohungen. Südkorea wird auf eine verstärkte Kooperation mit China hinarbeiten und dafür sorgen, dass China sich nicht grundsätzlich gegen die liberale regelbasierte Ordnung stellt. Dennoch gibt es zwischen beiden Ländern einige strittige Punkte, die ein gewisses Konfliktpotenzial bergen und daher näher betrachtet werden sollten.

Südkorea ist sich bewusst, dass es ein partnerschaftliches Verhältnis zu China braucht.

In den vergangenen Jahren hat Chinas politisches System verstärkt personalisierte und autoritärere Züge angenommen. Aus südkoreanischer Sicht müssen Chinas politisches System und seine Außenpolitik jedoch nicht zwangsläufig im Zusammenhang stehen. Viele Demokratien erleben ebenfalls Rückschritte, und ihre Außenpolitik entspricht keineswegs immer den Normen der liberalen internationalen Ordnung. Solange Chinas Außenpolitik sich an der bestehenden regelbasierten Ordnung orientiert, können innerhalb der liberalen internationalen Ordnung verschiedene politische Systeme nebeneinander existieren. Auch wenn Südkorea einige Standpunkte mit China teilt, bleibt es dennoch vorsichtig im Hinblick auf Chinas Potenzial, eine autoritärere und hierarchischere internationale Ordnung zu schaffen oder wiederzubeleben.

Im strategischen Wettbewerb zwischen den USA und China liegen die Spannungsfelder vor allem in Nordostasien. Die Beziehungen zu Taiwan, das Ostchinesische Meer und die koreanische Halbinsel sind kritische Themen, in denen der Wettbewerb sich zu einem militärischen Konflikt auswachsen könnte. Die Taiwan-Frage ist dabei wohl die heikelste. Als geteiltes Land hat Südkorea durchaus Sympathien mit dem chinesischen Ziel der Wiedervereinigung. Nach dem Aufkommen des europäischen Imperialismus kämpften sowohl Korea als auch China darum, sich zu modernen Nationalstaaten zu entwickeln und gleichzeitig ihre traditionelle nationale und ethnische Identität zu wahren. China betrachtet seine Taiwan-Politik als Wiederherstellung der Souveränität, so wie Südkorea die Wiedervereinigung als Rückgewinnung seines Territoriums und seiner Nation versteht. Sowohl die Taiwan-Frage als auch eine mögliche koreanische Wiedervereinigung würden jedoch zwangsläufig die Kräfteverhältnisse in der bisherigen internationalen Ordnung verändern.

Für die Zukunft will Südkorea außenpolitisch seine Allianz mit den USA stärken, die trilaterale Zusammenarbeit mit den USA und Japan ausbauen und parallel die Beziehungen zu anderen liberalen Ländern intensivieren.

Sollte China versuchen, seinen Anspruch auf Taiwan ohne vorherige Unabhängigkeitserklärung Taiwans mit Gewalt durchzusetzen, wäre dies eindeutig als Versuch zu werten, den Status quo zu ändern. Die USA und Japan würden sich um die Sicherheit der Seewege und das geopolitische Gleichgewicht sorgen und unweigerlich militärisch reagieren. Da der Großteil des Öltransports und der Handelsgüter über die Taiwanstraße erfolgt, ist es für die maritime Sicherheit und die Transportwege Südkoreas von entscheidender Bedeutung, dass die Stabilität der Taiwanstraße gewährleistet bleibt. Um den Status quo in der Taiwanstraße zu wahren, könnte Südkorea in Zusammenarbeit mit den USA die Abschreckung militärisch und diplomatisch intensivieren. Im Kriegsfall würde Südkorea jedoch in eine sehr schwierige Lage geraten. Nordkorea könnte gemäß Artikel 2 des Beistandsabkommens gezwungen sein, unmittelbar einzugreifen, wenn China Krieg führt. Um zu verhindern, dass in Taiwan US-Streitkräfte zum Einsatz kommen, könnte China sich mit Nordkorea abstimmen. In einem solchen Szenario könnte Nordkorea Chinas Einigungsversuch dadurch unterstützen, dass es Südkorea und die US-Streitkräfte in Korea provoziert. Japan würde aus Sorge, die Taiwan-Frage könnte zu Instabilität im Ostchinesischen Meer und zu weiteren maritimen Territorialstreitigkeiten mit China führen, wahrscheinlich ebenfalls eingreifen. Die koreanische Halbinsel, die Meerenge von Taiwan und das Ostchinesische Meer würden sich zu einem zusammenhängenden Konfliktgefüge verbinden.

Nichts von alldem liegt in Südkoreas Interesse. Für die Zukunft will Südkorea außenpolitisch seine Allianz mit den USA stärken, die trilaterale Zusammenarbeit mit den USA und Japan ausbauen und parallel die Beziehungen zu anderen liberalen Ländern intensivieren. Zugleich ist sich Seoul der Führungsprobleme innerhalb der liberalen internationalen Ordnung bewusst und erkennt Rückschritte in vielen Demokratien, politische Polarisierung und außenpolitische Instabilität in den USA als besorgniserregende Faktoren an. Zudem möchte es verhindern, dass Sicherheitsbedrohungen wie die Provokationen Nordkoreas und die nukleare Entwicklung durch die geopolitische Dynamik zwischen den Großmächten zusätzlich verschärft werden.

Aus dem Englischen von Christine Hardung

Chaesung Chun lehrt an der Fakultät für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Nationalen Universität Seoul und ist Direktor des National Security Center des East Asian Institute.

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