Männer wählen öfter rechts als Frauen. Ein großer Teil von ihnen fühlt sich abgehängt – und viele sind es tatsächlich auch. Rechtsextreme nutzen dies.

Kürzlich veröffentlichte die Financial Times einen vielbeachteten Artikel, der bestätigte, was viele Fachleute bereits seit Längerem vermuten: Es gibt eine „ideologisch-politische Kluft“ zwischen Männern und Frauen – und diese wird immer größer.

© Larry White auf Pixabay.com

In den vergangenen 15 Jahren haben Männer auf der ganzen Welt deutlich öfter rechte Parteien gewählt als Frauen. So konnte die rechtsradikale, populistische und Verschwörungserzählungen offen gegenüberstehende Vox-Partei von spanischen Männern etwa doppelt so viele Stimmen erwarten wie von Frauen. Bei der polnischen Parlamentswahl im vergangenen Herbst stimmten Männer und Frauen zwar in etwa gleich stark für die Ex-Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), doch die noch weiter rechts stehende Konfederacja wurde fast dreimal so häufig von Männern als von Frauen gewählt. Daten aus einer 2009 durchgeführten Studie über europäische Parteien mit autoritären oder populistischen Tendenzen ergaben, dass Männer in der Regel etwa doppelt so häufig für derartige Parteien stimmten als Frauen. Im Falle der nationalistischen Schwedendemokraten war dies sogar bis zu fünfmal wahrscheinlicher.

Es ist jedoch kein rein europäisches Phänomen: Der brasilianische Ex-Präsident Jair Bolsonaro schnitt bei der Wahl 2018 bei den Brasilianern zehn Prozentpunkte besser ab als bei den Brasilianerinnen. Ein ähnlicher Gender Gap brachte Argentiniens neuem populistisch-libertärem Führer Javier Milei im vergangenen November den Sieg.

In einigen Ländern scheint das Geschlecht bei Wahlentscheidungen in engem Zusammenhang mit anderen sozialen oder demografischen Variablen wie Klasse, Bildung und Beschäftigung zu stehen. Dennoch macht in vielen Staaten die Variable „männlich“ offenbar einen großen Unterschied – unabhängig von anderen Faktoren.

Das zeigt sich auch in den USA, wo die weibliche Wahlentscheidung eher nach links tendiert, während die Männer nach rechts rutschen. So entsteht ein Gender Gap: Die Unterschiede im Wahlverhalten zwischen den Geschlechtern waren bei der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 deutlicher zu beobachten als im vergangenen halben Jahrhundert davor. Über die Rolle der Ethnie für die Wahlentscheidung in den USA ist bereits viel gesagt und geschrieben worden, aber es scheint, dass das Geschlecht eine ähnlich entscheidende, wenn auch etwas andere Rolle spielt. So bilden weiße Männer seit 2016 verlässlich den „harten Kern“ der Trump-Unterstützer. Bei den Wahlen 2020 schnitt er aber auch bei den afroamerikanischen Männern zwölf Punkte besser ab als bei den afroamerikanischen Frauen. Er konnte (für einen Republikaner beachtliche) 18 Prozent bei den männlichen Schwarzen für sich verbuchen.

Dabei entsteht für diese jungen Männer auch der Eindruck, ein Großteil der Linken habe für sie nichts anzubieten.

Wer sich um die Demokratie sorgt, könnte angesichts dieser Zahlen zu dem Schluss kommen, man müsse sich eben besonders auf die Belange von Frauen konzentrieren und diese zur Wahl bewegen. Rund die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung aufzugeben oder zu ignorieren, wäre aber weder mit Blick auf den gesamten Staat und seine Gesellschaft noch mit Blick auf die eigenen Wahlaussichten sinnvoll.

Das Problem ist nicht, dass Männer quasi „von Natur aus“ empfänglich und besonders unterstützend für autoritäre Populisten wären. Tatsächlich sind amerikanische Männer viel eher politisch passiv. Die meisten jungen Männer könnten eher als verunsichert und orientierungslos bezeichnet werden. Anti-demokratische und gewaltaffine Kräfte versuchen, aus dieser Ziellosigkeit Kapital zu schlagen. So dringt die Politik auf subtile Weise in das Leben vieler Männer ein: Letztere suchen nach Zugehörigkeit, Sinn und Rat, und finden eine Mischung aus Schwindlern, politischen Scharlatanen und gewalttätigen Extremisten, die versuchen, sie zu rekrutieren und auf einen überaus hässlichen Kurs zu führen. Nur wenige Menschen wehren sich aktiv dagegen.

Ihre Popkultur fokussiert sich auf Personen wie Elon Musk, CEOs und Geschäftsmänner in Davos, kurzum: erfolgreiche Männer, die an der Spitze der Gesellschaft zu stehen scheinen. Freilich entspricht der Lifestyle dieser Männer in keiner Weise dem der großen Mehrheit. Das zeigen schon die wirtschaftlichen Daten: Amerikanische Männer, die lediglich einen High-School-Abschluss haben, verdienten 1979 inflationsbereinigt 1 017 Dollar pro Monat; heute sind es 881. Mehr als zehn Prozent der Männer im arbeitsfähigen Alter sind überhaupt nicht erwerbstätig.

Doch es geht nicht nur um Geld, sondern auch um gesellschaftlichen Status sowie um Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Frauen schließen häufiger die High School ab als Männer und zeigen auch in den weiterführenden Colleges bessere Leistungen. Augenscheinlich sind diese Frauen nicht so sehr an Männern interessiert, die weniger gebildet sind und schlechter verdienen als sie; Männer ohne College-Abschluss heiraten seltener. Und: Mehr als 1,5 Millionen Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren sind weder in der Schule noch in der Ausbildung noch im Beruf. Gleichzeitig haben genau diese Männer deutlich weniger Sex als frühere Generationen oder ihre berufstätigen Altersgenossen.

Es überrascht nicht, dass laut einer Umfrage von Equimundo junge Männer ohne College-Abschluss von allen befragten Gruppen am wenigsten Optimismus und Sinn im Leben verspüren. Viele haben keine verlässliche Möglichkeit mehr, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie geben auch an, am wenigsten soziale Unterstützung zu haben und sind unsicher, wie sie Beziehungen führen sollen – mit Freunden, vor allem aber auch Liebesbeziehungen. Sie spüren ihren niedrigen gesellschaftlichen Status sehr deutlich. Gleichzeitig wird die Gruppe „junger Mann“ in der Populärkultur häufig mit den besagten Männern an der Spitze der Gesellschaft gleichgesetzt. Dabei entsteht für diese jungen Männer auch der Eindruck, ein Großteil der Linken habe für sie nichts anzubieten, da sie trotz allem privilegiert seien und sich „erst einmal hinten anstellen“ müssten.

Weiße Rassisten rekrutieren schon seit Jahren junge Männer auf Gaming-Plattformen.

Viele dieser Männer wenden ihre Empfindungen nach innen, mit dem Ergebnis, dass fast drei Viertel der Opfer sogenannter „Verzweiflungstode“ – hauptsächlich durch Drogen oder Selbstmord – Männer sind. Diese Todesfälle sind in den USA inzwischen so üblich, dass sie schon vor der Corona-Pandemie zu einem Rückgang der Lebenserwartung unter amerikanischen Männern geführt haben. Es ist eine Tragödie für diese Menschen, für ihre Familien, für ihre direkte Umgebung und für ihre lokalen Gemeinschaften.

Einige Männer suchen die Schuld derweil bei „den anderen“. Das ist für unsere Demokratie tragisch. Für die zwei Drittel der jungen Männer, die gegenüber Forschenden aussagten „Niemand kennt mich wirklich gut“, wäre ein Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl sehr wichtig. Noch wichtiger wäre es wohl für Männer, die angeben, keinerlei sozialen Aktivitäten nachzugehen. Das erklärte immerhin jeder sechste Amerikaner mit High-School-Ausbildung oder keinem Abschluss. Wenn es keine sozialen „Verpflichtungen“ und Tätigkeiten gibt, bleibt viel Zeit für das Surfen im Netz und zum Zocken.

Genau dort setzte Steve Bannon an. Der Ex-Chefideologe von Donald Trump erzählte dem Journalisten Joshua Green über eine Entdeckung, die er nach dem Kauf einer Gaming-Firma machte – lange bevor er politisch aktiv wurde. Er habe eine „unglaubliche Power bei diesen entwurzelten, heimatlosen weißen Männern“ beobachtet. 2012, nach seiner Übernahme von Breitbart, habe er deswegen den rechtsextremen Influencer Milo Yiannopoulos engagiert, „um diese Armee wachzurütteln“. Yiannopoulos behauptete, „feministische Tyrannen“ würden die Videospielindustrie zerstören, und heizte damit die Gamergate-Kontroverse an – eine Hetzkampagne gegen weibliche Spieleentwicklerinnen. Wie Bannon erklärte: Diese Leute „steigen durch Gamergate oder sowas ein, und werden dann auf die Politik und auf Trump aufmerksam“.

Bannon war nicht der Einzige, dem dieses bisher unerschlossene Reservoir an möglichen Rekruten auffiel. Gavin McInnes, der Gründer der chauvinistischen, gewaltbereiten Proud-Boys-Bewegung, konzentrierte sich in mehr als der Hälfte der Videos, mit denen er seine Bewegung ins Leben rief, auf die männliche Opferrolle. So ließ er seine Anhängerschaft wissen: „Beim Feminismus geht es nicht mehr um Gleichberechtigung. Es geht darum, den Männern ihre Männlichkeit zu nehmen.“ Für ebenjene Männer, die sich in ihrer Männlichkeit bedroht fühlten, bot er als „Gegenmittel“ Gewalt an, mit der sie ihre Stärke und Männlichkeit demonstrieren könnten. Wie gewisse Kampfsportler durchlaufen Männer vier Stufen in der Hierarchie der Proud Boys – zunächst, indem sie sich der Gewalt anderer Gruppenmitglieder unterwerfen (so werden sie beispielsweise so lange in den Magen geschlagen, bis sie fünf Frühstücksmüslis aufzählen können, angeblich um „Adrenalin-Kontrolle“ zu demonstrieren), und im letzten Schritt, indem sie politisch motivierte Gewalt gegen andere in der amerikanischen Gesellschaft ausüben.

McInnes steht mit seiner Strategie in einer langen Tradition. Weltweit versuchen Extremisten immer wieder, Männern, die sich in anderen Bereichen ihres Lebens benachteiligt oder „entmannt“ fühlen, ein neues Machtgefühl zu vermitteln. Weiße Rassisten rekrutieren schon seit Jahren junge Männer auf Gaming-Plattformen. Das Phänomen nimmt offenbar weiter zu. Seit 2021 haben sich die Versuche mehr als verdoppelt: Fast jeder Fünfte, der Gaming-Plattformen nutzt, gab an, dass er im Jahr 2022 rassistische Inhalte und Werbung gesehen habe.

Viele Männer in unserer Gesellschaft fühlen sich allein gelassen, hoffnungs- und hilflos, weil sie ihre Probleme nicht angemessen artikulieren können.

Allerdings werden Männer immer häufiger nicht durch explizit rechtsextreme Ideologie oder Rassismus rekrutiert, sondern einfach dadurch, dass sie versuchen herauszufinden, „wie man ein Mann ist“ – gerade in einer Welt, in der sich die Geschlechterrollen rasant verändert haben. Gehen Sie einfach einmal online und suchen Sie nach typischen Fragen, die ein Mann in Ermangelung von Freunden oder Vorbildern eintippen könnte, beispielsweise wie man ein Date zustande bekommt oder wie man Muskeln aufbaut. Es dauert nicht lange, bis die Algorithmen diese ahnungs- und vermutlich arglos Suchenden in die „Manosphere“ ziehen – eine Welt voller Online-Selbsthilfegruppen für Männer, die mit vielen ansprechenden Anlaufstellen für Personen beginnt, die herausfinden wollen, wie sie leben „sollen“. Am Ende steht ein Sumpf voller Frauenfeindlichkeit, Hass und Gewalt.

In der Equimundo-Umfrage sagte fast die Hälfte der jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren, sie würden einem oder mehreren der Männerrechtler, Anti-Feministen oder Gewaltbefürworter in der Manosphere vertrauen. Einer dieser Influencer ist beispielsweise Andrew Tate, ein selbsternannter Frauenfeind und eingefleischter Trump-Fan. Die Manosphere nutzt die sehr realen Probleme, mit denen Männer konfrontiert sind, und schiebt die Schuld dafür auf Frauen. So wird ein vermeintliches Nullsummenspiel propagiert: Wenn Frauen in irgendeiner Weise „gewinnen“ oder Rechte erkämpfen, verlieren die Männer.

In den USA wurden Jahrzehnte damit verbracht, einen Pfad für selbstbestimmte Frauen und Mädchen zu schaffen – ohne begleitende Bemühungen, ein breiteres und stabileres Verständnis von Männlichkeit für die Männer zu entwickeln, die den Frauen zur Seite stehen sollten. Jetzt ernten wir die Gegenreaktion. Ein Teil der möglichen Lösungen liegt zweifellos in konkreten politischen Maßnahmen, die Männern dabei helfen, sich sicherer zu fühlen – wie höhere Löhne für traditionell „männliche“ Arbeiterjobs. Darüber hinaus sollten Wege zum (gesellschaftlichen und wirtschaftlichen) Erfolg ermöglicht werden, die eher auf handwerklicher Arbeit als auf Hochschulabschlüssen beruhen.

Um politische Wut und Aktionsbereitschaft zu entfachen, braucht es aber auch die entsprechende politische Erzählung. Man sollte nicht nur die materiell-wirtschaftliche Situation der Männer verbessern, sondern auch darüber nachdenken, wie Männer an der Seite von gestärkten Frauen selbst ein Gefühl von Sinn, Identität und Status entwickeln können. Jahrelange Kulturmuster haben zum Bild starker, kompetenter Frauen einerseits und geradezu stümperhafter Männer, die „den Hintern nicht hochbekommen“, andererseits geführt. Wir müssen sowohl Männer als auch Frauen als kompetente Erwachsene verstehen und abbilden. Frauen lernen seit Jahrzehnten, als Mentorinnen für junge Frauen aufzutreten. Jetzt müssen Männer dasselbe tun. Sie müssen echte Beziehungen aufbauen, die den Manosphere-Influencern entgegenwirken, die ihrerseits die Rolle von Vätern und großen Brüdern übernommen haben.

Autoritäre Kräfte haben schon immer patriarchalische Geschlechterrollen befürwortet und gefördert. Wer sich für Demokratie einsetzen und Männer unterstützen will, muss die Wirkung dieses Sirenengesangs erkennen und ernst nehmen. Unter US-Psychologen gibt es den Spruch: Hurt people hurt people. (Im Deutschen etwa: „Verletzte Menschen verletzen (andere) Menschen.“) Viele Männer in unserer Gesellschaft fühlen sich allein gelassen, hoffnungs- und hilflos, weil sie ihre Probleme nicht angemessen artikulieren können angesichts einer Gesellschaft, die sich offenbar auf andere Dinge konzentriert. Das schadet diesen Männern, es schadet den Frauen, und es schadet auch unserer Demokratie. Dieses Problem müssen wir angehen. Gemeinsam.

Aus dem Amerikanischen von Tim Steins.

Rachel Kleinfeld ist leitende Wissenschaftlerin des Democracy, Conflict, and Governance Program des Carnegie Endowment for International Peace. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Regierungsführung in Demokratien.

- ANZEIGE -