Hauptstadt-Gebell
von Dieter Weirich

Iwan Pewtrowitsch Pawlow, russischer Forscher und Nobelpreisträger für Medizin, ist durch ein wissenschaftliches Experiment weltberühmt geworden. Er hat herausgefunden, dass Hunde in hechelnder Vorfreude Speichel nicht erst produzieren, wenn sie fressen, es reicht, dass sie die Nahrung sehen oder riechen. Man nennt das in der Verhaltenstherapie eine „bedingte Reaktion“, den Pawlowschen Reflex.
Die Pawlowschen Hunde findet man aber nicht nur in der Tierwelt, sie sind auch in Verhaltensmustern menschlicher Lebewesen, vor allem in der Politik, anzutreffen. Gerade Krisenzeiten, leere Kassen lösen Stimulationen in Gehirnen aus, reizen zu politischen Aktionen.
Dass die Pawlowschen Hunde trotz aller Mahnungen zur Geschlossenheit nicht schläfrig im Zwinger verharren, sondern fröhlich weiter bellen, dokumentieren erste massive Streitigkeiten der Partner der Regierungskoalition. Da fordert der CDU-Generalsekretär ohne Unterstützung seines linken Flügels eine umfassende Reform des Bürgergeldes und sogar den Stopp von Zahlungen, die SPD lehnt in bekannter Manier die „Attacken auf den Sozialstaat“ ab, hält solche Rhetorik für kontraproduktiv.
Zumeist streitet sich die Pawlowsche Hundemeute über Sozialpolitik. Da verlangt der neue „SPD-General“ höhere Krankenkassenbeiträge für Gutverdiener, die Union wehrt sich gegen weitere Belastungen. Ähnlich kontrovers sind die Verlautbarungen zum Mindestlohn, dem Leib-und Magen-Thema der SPD, die möglichst rasch eine Anhebung auf 15 Euro will.
Die meisten Konflikte sind uralt, unterstreichen die total unterschiedlichen Vorstellungen der Partner in dem neuen Bündnis. Man könnte auch von den „Pawlowschen Rindern“ sprechen, also Forderungen von Wiederkäuern aus der Vorratsdatenspeicherung der letzten Jahre.
Die geplanten Sondervermögen- sprich Schulden- könnte bei den Pawlowschen Hunden besonderen Speichelfluss auslösen, um zusätzliche Konsumausgaben aus dem Bundeshaushalt in dieses milliardenschwere Schuldeninstrument umzuschichten. Ob das mehr als eine böse Vorahnung ist ?
Die Regierenden sollten sich aber darüber im klaren sein, dass die Ampel an zuviel Gebell und zu wenig Lösungskompetenz gescheitert ist.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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