Von Gisbert Kuhn

Autor Gisbert Kuhn

An diesem Freitag, dem 20. September 2019, hat sich Beeindruckendes ereignet. Gar keine Frage. In Deutschland besonders, aber durchaus auch darüber hinaus. Was auf den Straßen und Plätzen von hunderttausenden Menschen (und zwar keineswegs nur Schülern) mit Blick auf den Klimawandel als Parolen skandiert und als Forderungen auf Spruchbändern oder Schautafeln mit sich geführt wurde, war nicht zu überhören und zu übersehen. Der Begriff  „machtvoll“ ist denn auch gewiss nicht übertrieben als Beschreibung dieser Demonstrationen.  Und selbst wenn die Zeitüberschneidung dieses thematisch der Zukunft gewidmeten Freitags („Friday for future“) mit dem 40-Milliarden-Euro-Umweltbeschluss der Bundesregierung Zufall war, so können sich das Schweden-Mädel Greta und dessen Anhängerschar diese politische Entscheidung ganz klar als ihren Erfolg verbuchen. Denn ohne den „Druck der Straße“ wären Klima, Umwelt sowie die damit zusammen hängenden – nicht zuletzt wirtschaftlichen und sozialen – Probleme mit Sicherheit nicht so geschwind auf dem Kabinettstisch gelandet. Schon gar nicht zur Entscheidung.

Es ist in Zeiten wie diesen (und vor allem in einem Land wie diesem) nicht einfach, mit kritischen (ja, sogar nur mahnenden) Einwänden Gehör zu finden. Und zwar sogar dann, wenn das positive Anliegen der demonstrierenden Menschenmassen überhaupt nicht angezweifelt wird. Aber selbst das hehrste aller Ziele rechtfertigt sich am Ende nur dann, wenn auch das Umfeld stimmt und Mittel adäquat sind. Zugegeben, auch der Autor muss sich vor diesem Hintergrund immer wieder zwingen, das Thema mit der gebotenen Distanz und möglichst leidenschaftslos anzugehen. Schon gar, wenn einem Massenbewegungen, Aufmärsche und Riesenkundgebungen eher Unbehagen bereiten als Begeisterung auslösen. Ja, es stimmt – demokratisches Handeln bedarf der Unterstützung von Mehrheiten. Diese sind freilich nicht immer leicht zu gewinnen. Vor allem dann nicht, wenn sie für Entscheidungen gebraucht werden, die auf (oftmals unpopulären) Kompromissen gründen.

Vox populi vox dei – Volkes Stimme ist Gottes Stimme? Dieser Glaube war über viele Jahrhunderte hinweg eine Art Handlungsanweisung. Die neuere Geschichte, freilich, hat die Fragwürdigkeit der These mitunter sogar auf grausame Weise längst widerlegt. Die Zahl der Beispiele wäre erschreckend hoch, wollte man aufzählen, wie leicht es mitunter Demagogen und Verkünder scheinbar einfacher Problemlösungen haben, in kurzer Zeit Millionen von Menschen hinter sich zu scharen. Das galt (und gilt noch immer) besonders dann, wenn die Lebensumstände schwierig, die Weltlage ernst und die Blicke in die Zukunft besorgniserregend sind. Kurz, wenn die Leute Angst haben.

Das Klima! Es lässt sich ja gar nicht bestreiten, dass sich auf dem Globus Veränderungen und Entwicklungen vollziehen, die – zurückhaltend formuliert – Sorge bereiten. Insofern ist es tatsächlich erfreulich, wenn sich in der Gesellschaft nicht nur ein Umdenken vollzieht, sondern auch bestimmte Konsum- und Verhaltensformen verändern. Und wenn dies nicht von oben herab verordnet, sondern aus der Gesellschaft heraus selbst erfolgt – umso besser. Was allerdings gegenwärtig bei uns abläuft, ist etwas ganz anderes. Wenn mit dem Wort „Klima“ auf den Lippen Hunderttausende auf die Straße strömen, dann ähnelt das eher der Suche nach einer Ersatzreligion. Da ist kein Platz mehr für ein nachdenkliches „Aber“. Im Gegenteil – wer das versucht, läuft Gefahr, als jemand denunziert zu werden, der sich gegen die Rettung des Erdballs stellt.

 Denn die am kritischen Zustand unseres Planeten Schuldigen stehen ja fest: Die Autoindustrie sowieso (Hauptfeind SUV), Kohle, Kohlendioxid, Kreuzfahrtschiffe, Flugzeuge („Flugscham“). Natürlich wäre es vernünftiger gewesen, schon früher gegenzusteuern. Doch jeder auch nur einigermaßen vernünftige Zeitgenosse weiß, dass Änderungen selbst bei bestem Willen nur in bestimmten lngeren Zeiträumen möglich sind – sofern sie nicht in der Gesellschaft zu katastrophalen Folgen führen sollen. Also: Wer den Ausstieg aus der Kohle fordert, muss natürlich gleichzeitig machbare Vorschläge für den Strukturwandel mit den entsprechenden finanziellen Mitteln bereit haben. Wer – wie soeben bei der Frankfurter Automobilausstellung geschehen – in Vermummung seinen „Hass“ auf das Automobil bekundet, dem sind ganz bestimmt die auf dem Spiel stehenden etwa 800 000 Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftssektor schnurzegal. Und es stimmt schon einigermaßen nachdenklich, dass auf all den Schildern und Plakaten, die Gymnasialschüler in diesen Tagen stolz in die Kameras der Medien hielten, mit keinem Wort zum Beispiel die sozialen Probleme auch nur angerissen wurden, die mit einem radikalen Politik-, Wirtschafts- und Verhaltenswandel automatisch verbunden wären.

Zum Schluss eine kleine Geschichte, die sich soeben in Frankfurt zutrug. Ja, es ist vielleicht nur ein Einzelfall. Aber er stimmt trotzdem nachdenklich, weil sich hier manifestiert, wie eng „gerecht“ und „selbstgerecht“ beieinander liegen, wenn man sich nur selbst bei den „Richtigen“ wähnt“.  Eine Abitur-Klasse aus der Main-Metropole hat beschlossen, das Ende der Schulzeit mit einer 5-Tage-Reise auf einem „AIDA“-Kreuzfahrschiff zu feiern. Einige der Schüler sind, laut eigener Aussage, seit geraumer Zeit bei den Klima-Aktivisten. Und auch ein begleitender Lehrer ist Mitglied bei der Umweltorganisation BUND. Auf diese Umstände angesprochen, heißt es: Der „ökologische Fußabdruck“ der Kreuzfahrtschiffe sei „bei weitem nicht so schlecht, wie in den Medien dargestellt“ Und außerdem: „Mit dem Fahrrad nach Wanne-Eickel fahren – das wollen die Schüler auch nicht“. Ist es nun ein Zufall, wenn einem ausgerechnet jetzt die biblischen Pharisäer in den Sinn kommen?  

p.s.: Das folgende Gedicht entstammt der Feder des begnadeten Spötters und politischen Satirikers Erich Kästner. Ein Schelm, der Anklänge oder gar Ähnlichkeiten mit aktuellen Vorgängen zu entdeckcn meint. 

Die deutsche Einheitspartei

Als die Extreme zusammenstießen
begriff Max Müller,wie nötig er sei.
Und er gründete die Partei
aller Menschen,die Müller hießen.

Müller liebte alle Klassen.
Politische Meinungen hatte er keine.
Wichtig war ihm nur das eine:
Sämtliche Müllers zusammenzufassen.

Seinem Aufruf entströmte Kraft.
“Wir verteidigen”,schrieb er entschieden,
Rück- und Fortschritt,Krieg und Frieden,
Arbeitgeber und Arbeiterschaft.

Freier Handel und Hochschutzzoll
haben unsere Sympathie.
Republik und Monarchie
sind die Staatsform,die herrschen soll!”

Alle Müllers traten ihm bei
und die anderen kamen in Haufen,
ließen sich eiligst Müller taufen
und verstärkten die neue Partei.

Und sie wuchs,trotz vieler Brüller.
Kurzerhand ging sie in Führung.
In der nächsten Reichsregierung
hießen zehn Minister Müller.

Diese Müllermehrheit wies
alle aus,die anders hießen
und sich nicht rasch taufen ließen.
Bis ganz Deutschland Müller hieß!

Von der Memel bis zum Rande des Rheins
feierten nun die Deutschen Versöhnung.
Im alten Aachen gab’s Kaiserkrönung.
Und der Kaiser hieß:Müller Eins.

Festlich krachten Kanonen und Böller.
Doch das Glück war bald vorbei.
Denn am Tag darauf kam Möller,
und es enstand eine Gegenpartei.

Bemerkungen oder Kommentare an gisbert.kuhn@rantlos.de

 

 

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